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Gen 37–50

Die Josefserzählung – das Ende der Familiengeschichte Jakobs

  1. Kontext
  2. Entstehungshintergründe
  3. Gattung
  4. Aufbau und Struktur
  5. Zentrale Themen und Theologie
  6. Quellen

Im deutschen Sprachraum ist die Erzählung in Gen 37–50 unter dem Namen Josefsgeschichte bekannt. Diese Bezeichnung legt den Fokus auf den Hauptakteur Josef. Dennoch trifft sie die eigentliche inhaltliche Ausrichtung der Kapitel nicht ganz. Denn im Fokus der Kapitel 37–50 steht die Familiengeschichte Jakobs, die durch die Erzählung um Josef weitergeführt wird. Das wird auch durch die Überschrift in Gen 37,2 „Geschlechterfolge Jakobs“ (hebr. תֹּלְדוֹת יַעֲקֹב, tōlədôt yaʿăqōb) ausgedrückt. Betrachtet man Gen 37–50 unter diesem Gesichtspunkt, so steht der Erzvater Jakob im Zentrum. Die sog. Josefserzählung ist damit nur in Zusammenhang mit den Erzählungen von Jakob zu verstehen.

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1. Kontext

Die Josefserzählung in den Kap. 37–50 steht am Ende des Buches Genesis. Während Gen 36 zuvor den Blick auf Esau und dessen Geschlechterfolge (hebr. תֹּלְדוֹת, tōlədôt) richtet, steht ab Gen 37,1 Jakob im Fokus der Erzählung. Das wird durch die Notiz über seine Ansiedlung in Kanaan (vgl. 37,1) sowie die bereits erwähnte Überschrift „Das ist die Geschlechterfolge Jakobs“ (37,2) deutlich. Allerdings beginnt die Erzählung in Gen 37 nicht mit einer Aufzählung einer Geschlechterfolge, wie dies gemäß der Überschrift zu erwarten wäre, vielmehr lenkt V. 2 den Blick auf Jakobs Familie. Dadurch werden zunächst Josef als Hauptfigur und im Folgenden auch der Konflikt unter den Brüdern und das Zerbrechen der Familie Jakobs als Hauptthemen in den Kap. 37–50 eingeführt. Josef, der durch die Notiz über seine Geburt in Gen 30,22–24 bereits als Person im Genesisbuch vorgestellt wurde, bleibt dabei der Hauptakteur der Kap. 37.39–50. Die Notiz über seinen Tod in Gen 50,26 beendet schließlich die Josefserzählung sowie das Buch Genesis insgesamt. Das Buch Exodus knüpft anschließend an Gen 37–50 explizit an. So greift Ex 1,1–8 die Genealogie aus Gen 46 (vgl. Ex 1,1–5) und die Vermehrungsnotiz in Gen 47,27 (vgl. Ex 1,7) auf und erklärt den Tod Josefs und die Tatsache, dass der neue Pharao Josef nicht mehr kannte, zum Ausgangspunkt für die Not der Israeliten (vgl. Ex 1,8). Auch der Verbleib der Gebeine Josefs prägt die Exoduserzählung sogar über den Pentateuch hinaus (vgl. Gen 50,24f.; Ex 13,19; Jos 24,32). Die Josefserzählung hat somit hinsichtlich ihres Kontextes eine doppelte Funktion: Einerseits schließt sie durch ihre Einbettung in die Familiengeschichte Jakobs die Vätergeschichte ab, indem sie den Tod Jakobs und die Ansiedlung von dessen Nachkommen in Ägypten erzählt. Andererseits hat sie eine Brückenfunktion, indem sie „die Erzelterngeschichten (Gen 12-36) mit der Mose-Exodus-Erzählung (Ex 1-15) verbindet“ (Lux).

Da Gen 37–50 im Kontext der Familiengeschichte Jakobs zu verstehen ist, lassen sich die Kapitel in den gesamten Erzählzusammenhang der Genesis einbetten. Das wird durch das genealogische Gerüst, das Josef gleich zu Beginn in die Geschlechterfolge Jakobs einordnet (vgl. Gen 37,2), deutlich. Zugleich ist damit auch eine Einordnung in die Reihe von Geschlechterfolgen („Toledot“, hebr. תֹּלְדוֹת, tōlədôt) verbunden, welche die gesamte Genesis, angefangen bei der Schöpfung (vgl. Gen 2,4a), durchziehen und gliedern (vgl. u. a. Gen 5,1; 6,9; 10,1; 25,19).

Daneben ist die Erzählung über den familiengeschichtlichen Rahmen Jakobs narrativ in die Genesis eingebettet. Das erfolgt zum einen über die Person Josefs, der der elfte von zwölf Söhnen Jakobs und genauso wie Benjamin ein Kind Rahels ist. Im Erzählverlauf der Genesis steht Rahel als Lieblingsfrau Jakobs im Zentrum, wobei sie zunächst kinderlos bleibt (vgl. Gen 29,31; 30,1f.). Rahel teilt damit das Schicksal der Erzmütter Sara und Rebekka, die beide ebenso zunächst kinderlos blieben (vgl. zu Sara Gen 11,30; 16,1; zu Rebekka 25,21). Im Unterschied zu Rahel ist Lea, Jakobs andere Frau (vgl. Gen 29), überaus fruchtbar. Sie schenkt Jakob sechs Söhne und eine Tochter (vgl. Gen 29,32–35; 30,17–21). Davon ausgehend entsteht zwischen Rahel und Lea ein Wetteifern um die Liebe Jakobs, was die Auseinandersetzung zwischen Josef und seinen Brüdern schon vorzubereiten scheint. Auch über die Person Jakobs wird ein narrativer Bezug zur Genesis hergestellt. Dabei wird in Gen 37–50 vor allem auf seine Lebensgeschichte Bezug genommen; sie wird zentral mit dem Thema Versöhnung verknüpft. Jakob hatte bereits in den vorausgehenden Kapiteln einen Weg der Versöhnung zu seinem Bruder und seinem Vater zu gehen. Die Wiederaufnahme dieses Themas als Weg der Versöhnung zwischen Jakob und seinen Söhnen, aber auch zwischen den Söhnen untereinander, verdeutlicht, dass jede Generation ihren eigenen Weg der Versöhnung gehen muss. Darüber hinaus entstehen narrative Verknüpfungen zur Genesis über die Verfehlungen Rubens, Simeons und Levis (vgl. Gen 34f.), die bis in die Josefserzählung hineinwirken (vgl. Gen 48,5; 49,3–7), sowie durch Leitwörter und prägnante Ausdrücke, welche Gen 25–36 mit Gen 37–50 verbinden (vgl. bspw. das Verb נכר nkr „genau hinsehen, erkennen“ in Gen 27,23; 31,32; 37,32; 38,25; 42,7f. sowie die Wendung „unser Fleisch“ in 29,14 und 37,27).

Zuletzt betten Motivverknüpfungen, wie das Hungersnotmotiv, das mit der vorübergehenden Übersiedlung der Israeliten nach Ägypten verbunden ist, die Josefserzählung in die Genesis ein. So wird insgesamt deutlich, dass Gen 25–36 und Gen 37–50 inhaltlich, sprachlich und strukturell verbunden sind und daher zusammengehören.

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2. Entstehungshintergründe

Gründe für die Überlieferung der Josefserzählung werden vor allem narrativ deutlich, da ohne Gen 37–50 die Erzelternerzählungen, besonders die Erzählung vom Leben Jakobs und dessen Kindern, nicht abgeschlossen wären. Die Kap. 37–50 führen die Jakobserzählung aber zu einem harmonischen Schluss. Zudem übernimmt die Josefserzählung weitere wichtige Aufgaben für den Pentateuch. Sie bereitet durch ihre Orte, ihre Hauptpersonen, Sprachähnlichkeiten und literarischen Bezüge die Exoduserzählung vor und nimmt damit zugleich eine wichtige Brückenfunktion zwischen der Erzelternerzählung und der Volkwerdung Israels ein. So legt sie durch ihr Hauptthema der Versöhnung die Grundlage dafür, dass aus den Kindern Israels das Volk Israel werden kann. „Die J[osefserzählung] belegt so eindrücklich, daß Gemeinschaft und Befreiung auf Aussöhnung unter den Menschen aufbauen, und bildet damit eine unverzichtbare Stufe im Bau der Tora auf dem Weg zur am Sinai geschenkten Begegnung mit Gott.“ (Fischer, 112) Narrativ lässt sich der Entstehungshintergrund dadurch gut nachvollziehen.

Die Redaktionsgeschichte der Kapitel bleibt hingegen umstritten. Über den terminus post quem besteht weitgehend Einigkeit, insofern dafür die früheste außerbiblische Erwähnung der Ismaeliter (ca. 8. Jh. v. Chr.) herangezogen wird. Für einen terminus ante quem hingegen gibt es mehrere Ansätze. So nennt Ina Willi-Plein das 6. Jh. v. Chr., da in diesem Jahrhundert die Stammeskonföderation der Ismaeliter nicht mehr nachweisbar ist. Davon ausgehend legt sie sich auf einen Entstehungszeitraum zwischen dem 8. und spätestens 6. Jh. v. Chr. fest, begründet ihre Datierung aber nicht genauer. Willi-Plein hat dabei jedoch nur die Stammeskonföderation der Ismaeliter im Blick, allerdings existiert der ismaelitische Stamm Kedar auch darüber hinaus und ist gerade unter der persischen Vorherrschaft im 6.–4. Jh. ein wichtiger Machtfaktor in Südpalästina. Um der Datierung von Willi-Plein zu folgen, müsste daher zusätzlich argumentiert werden, warum die Josefserzählung die Stammeskonföderation der Ismaeliter und nicht den Stamm Kedar voraussetzt. Georg Fischer argumentiert hingegen für eine Entstehung in der florierenden Handelszeit des ismaelitischen Stammes Kedar unter den Persern zwischen dem 6. und 4. Jh. v. Chr. Dabei schlägt er das 5. Jh. v. Chr. für die Entstehung vor, insofern er das zentrale Thema der Versöhnung als Hinweis auf die nachexilische Zeit im Kontext der Auseinandersetzung um das Verhältnis von Norden (Josef) und Süden (Juda) versteht. Da die Erzählung selbst jedoch keine direkten Bezüge auf die geschichtliche Situation enthält, kann der Text selbst diese These nicht erhärten. Sie bleibt damit eine Vermutung. Für eine ausführlichere Diskussion vgl. Rüdiger Lux, Josef / Josefsgeschichte, in: WiBiLex online, Kap. 2.4.2.

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3. Gattung

Die Gattungsfrage der Josefserzählung wird, auch in Zusammenhang mit der Frage nach ihrer Entstehung, ebenfalls kontrovers diskutiert. In der Literatur findet sich häufig eine Einordnung in die Gattung der Novelle. Eine Novelle zeichnet sich als kunstvoll gestaltete Erzählung aus, die „mehrepisodisch eine Folge von aufeinander bezogenen Ereignissen um einen zentralen Konflikt“ (Koenen) erzählt. Sie läuft auf ein ungewöhnliches Ereignis zu und verzichtet dabei auf ausführliche Schilderungen äußerer Umstände und Charakterisierungen von Personen. Rüdiger Lux beispielsweise macht diese Merkmale in den Kap. 37–50 aus, insofern dort ein Konflikt auf Grundlage eines Normenbruchs (vgl. Gen 37,8) erzählt wird. Der Protagonist Josef ist dabei in der mehrepisodischen Erzählung auf sich selbst gestellt und erfährt Schwierigkeiten und Isolation (vgl. Gen 37,23f.; 39–40). Die gesamte Erzählung zeichnet sich dabei durch eine „straffe Handlungsführung“ (Lux) aus und läuft auf ein ungewöhnliches Ereignis als Höhepunkt zu, bei dem der Zufall eine Rolle spielt (vgl. Gen 41). Ihre Klimax findet die Josefserzählung schließlich in der Auflösung des Konflikts (vgl. Gen 45). Am Ende der Erzählung wird schließlich das weitere Schicksal des Helden nur angedeutet (vgl. Gen 50,22–26). Mit Blick auf den Inhalt ordnet Lux die Josefserzählung schließlich als Diasporanovelle ein, die den „Aufstieg eines Israeliten in der Fremde“ (Lux) erzählt und auf diese Weise Fragen bzw. Probleme bearbeitet, die sich in der Diaspora ergeben. Diese Gattungszuordnung ist jedoch nicht unumstritten.

Etwa Ina Willi-Plein argumentiert gegen eine solche Zuordnung, insofern der Begriff der Novelle in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft anders besetzt sei. Zentral in ihrer Kritik sind dabei die offenen Forschungsfragen nach Entstehung, Zweck und geistesgeschichtlicher sowie geografischer Verortung, die in der theologischen Forschung nicht abschließend beantwortet sind und durch eine solche Zuordnung bereits enggeführt würden. So beanstandet sie, dass mit der Zuordnung als Diasporanovelle eine nachexilische Entstehung der Erzählung vorausgesetzt wird, welche die Fragen nach dem Zweck und der Motivation der Abfassung deutlich erschwert. Sie schlägt daher vor, die Josefserzählung als „nachgeahmte Vätererzählung“ (Willi-Plein, 243) einzuordnen, um so ihren Eigenarten und Entstehungsbedingungen gerecht zu werden.

Neben der Diskussion um die Zuordnung zu einer Gattung macht Lux auch darauf aufmerksam, dass die Erzählung weisheitlichen Idealen entspricht. So lässt sich Josef nicht von einer fremden verheirateten Frau betören (vgl. Gen 39,7–12 mit u. a. Spr 2,16–19; 5,1–23). Er erweist sich als kluger und politischer Ratgeber (vgl. Gen 41,25-36 mit u. a. Spr 8,12; 11,14; 15,22) und hält sich an die Gottesfurcht, die den Anfang aller Weisheit darstellt (vgl. Gen 42,18 mit u. a. Spr 1,7.29; 2,5; 8,13; 10,27). Die Josefserzählung lässt sich insgesamt aber nicht als weisheitliche Lehrerzählung einordnen, sondern weist weisheitliche Einzelzüge auf, die bestimmten Lehraussagen der Weisheit entsprechen und damit auch eine belehrende Intention aufweisen (vgl. Koenen).

Daher lässt sich abschließend noch Georg Fischer anführen, der im Blick auf das Gesamt von Gen 37–50 darauf aufmerksam macht, dass es sich insgesamt um eine literarische Konstruktion handelt. Im Fokus dieser Konstruktion stehen dabei Entsprechungen zu anderen Erzählungen (vgl. bspw. Parallelen zur Esau-Jakob-Erzählung), zusammenhängende Entwicklungen und das exemplarisch angelegte Motiv der Versöhnung, das hier gezeichnet wird. Durch dieses Verständnis sind Spannungen in Chronologie und Darstellung nur sekundär von Bedeutung.

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4. Aufbau und Struktur

Gen 37,1–36; 38,1–30: Doppelexposition
            Gen 37,1–36: Das Zerbrechen der Familie von Jakob
            Gen 38,1–30: Das Zerbrechen der Familie von Juda
Gen 39,1–41,57: I. Hauptteil – Dreifacher Aufstieg Josefs
            Gen 39,1–19: Im Hause Potifars
            Gen 39,20–40,23: Im Gefängnis
            Gen 41,1–57: Am Hofe des Pharaos
Gen 42,1–47,28: II. Hauptteil – Drei Reisen der Brüder
            Gen 42,1–38: Erste Reise
            Gen 43,1–45,27: Zweite Reise
            Gen 45,28–47,28: Dritte Reise
Gen 47,29–50,14: III. Hauptteil – Vorbereitung auf Jakobs Sterben, sein Tod und Begräbnis
Gen 50,15–26: Schluss
            Gen 50,15–21: Vergebung und Versöhnung
            Gen 50,22–26: Josefs Tod
(vgl. Lux, in: https://cms.ibep-prod.com/app/uploads/sites/18/2023/08/WILAT_Tab_Josef_1.htm; sowie Fischer, 85.)

Die Josefserzählung beginnt mit einer Doppelexposition, die das Zerbrechen zweier Familien beschreibt. Gen 37 berichtet vom Zerbrechen der Familie Jakobs, wobei die Erzählung mit den beiden Träumen Josefs beginnt. Die Träume eröffnen den Bruderkonflikt, aus dem heraus sich die weitere Handlung mit weiteren Komplikationen entwickelt. Die Handlungskette von den Träumen Josefs bis hin zu dessen Verkauf nach Ägypten erweckt so den Eindruck eines lückenlosen Erzählverlaufes. In der Exposition in Gen 37 werden zudem wichtige Motive grundgelegt, die auch im Weiteren die Erzählung prägen und vorantreiben: (1) das Traummotiv (vgl. die Doppelträume in Gen 37,5–11.19f.; 40,5–22; 41,1–36; 42,9), (2) das Kleidermotiv (Gen 37,3.23.31–34; 39,12–16; 41,14.42; 45,22), (3) das Gruben-/ Gefängnismotiv (Gen 37,22–24.28f.; 39,20; 40,15; 41,14; 42,17, sowie (4) das Motiv der Brüdermahlzeiten (Gen 37,25; 43,16.25.31–34).

Die Zugehörigkeit von Gen 38 zur Josefserzählung ist umstritten. Allerdings sprechen sprachliche und thematische Verbindungen zu den übrigen Kapiteln für eine Zugehörigkeit. Denn die hier vorgenommene Charakterisierung Judas ist wichtig für die Erklärung seines Verhaltens in den Kap. 43–44. Mit dem Weggehen Judas von seinen Brüdern (vgl. 38,1) löst sich die Familie Jakobs zudem weiter auf. Und auch Judas Familie bricht auseinander, wie das Kapitel erzählt. Den Wendepunkt bringen erst Tamars Einsatz und letztlich die Geburt der Zwillinge. Allerdings zeigt sich auch bei ihrer Geburt eine verwandtschaftstypische Rivalität (vgl. Fischer, 87), wie sie auch zuvor in Gen 37 unter den Söhnen Jakobs deutlich wird.

Die Exposition der Josefserzählung in den Kap. 37–38 beschreibt damit, wie die spannungsreichen Beziehungen der Protagonisten untereinander sowie die negativen Emotionen zum Zerbrechen der Familie Jakobs führen. Zugleich lenkt sie den Blick auf die Hauptfiguren Josef und Juda. Josef kommt dabei in den folgenden Kapiteln die größere Aufmerksamkeit zu, wenngleich Juda in der Erzählung ebenso eine wichtige Rolle einnimmt.

Der erste Hauptteil (Gen 39,1–41,57) lenkt den Fokus auf das Leben Josefs in Ägypten. Die Erzählung berichtet in drei Anläufen von dessen Erlebnissen, wobei diese Anläufe jeweils mit einem Aufstieg Josefs verbunden sind. Gen 39,1–19 spielt im Hause Potifars, wo Josef vom Sklaven zum Hausverwalter aufsteigt. Nach der Intrige durch Potifars Frau wird Josef ins Gefängnis geworfen. Gen 39,20–40,23 berichtet von Josefs dortigem, zweitem Aufstieg vom Häftling zum Gefängnisaufseher. Durch seine Traumdeutungen im Gefängnis gelangt Josef zum Pharao. Diesem erklärt er ebenso die Träume, was zu einem dritten Aufstieg führt, insofern er zum zweithöchsten Mann Ägyptens erhoben wird (Gen 41,1–57). Mit der Traumdeutung des Pharaos wird zudem das Hungersnotmotiv eingeführt, das für die weitere Entwicklung der Erzählung zentral ist (Gen 41,27–36.53–57; 42,1; 43,1; 45,6.11; 47,13).

Nach dem dreifachen Aufstieg Josefs liegt der Fokus im zweiten Hauptteil (Gen 42,1–47,28) auf den Brüdern und ihren drei Reisen nach Ägypten. Das Motiv der Lebenserhaltung (Gen 42,2; 43,8; 45,5.7; 47,19.25; 50,20) treibt in diesem Teil die Handlung voran und verknüpft so die Reisen der Brüder mit der Hungersnot, deren Beginn am Ende des ersten Hauptteiles steht. So sind die ersten beiden der drei Reisen der Brüder daher motiviert, dass sie in Ägypten Getreide kaufen wollen (vgl. Gen 42,1–38; 43,1–34). Im Zentrum steht dabei aber nicht nur die Hungersnot und deren Überwindung, sondern auch die Familie Jakobs an sich. Gipfelpunkt dieses Teiles wiederum ist die Klimax der gesamten Erzählung, insofern durch das Weinen Josefs und das Küssen der Brüder die Zusammenführung und Aussöhnung der Familie ermöglicht wird. Nach dem in Gen 37f. beschriebenen Bruch der Familie steht dann am Ende des zweiten Hauptteils ihre erneute Zusammenführung (vgl. Gen 47,1–28). In diesem Kontext ist die dritte Reise der Brüder anzusetzen. Die Überwindung dieses Bruches wird schließlich darin deutlich, dass die Familie Jakobs von Kanaan nach Ägypten übersiedelt.

Im Mittelpunkt des dritten Hauptteiles (Gen 47,29–50,14) stehen die Vorbereitung auf Jakobs Sterben, sein Tod und sein Begräbnis. Dabei werden v. a. Themen behandelt, die für das Leben Israels in der Diaspora von Bedeutung sind. So wird in Gen 47,29–31 der Wunsch Jakobs nach einer Bestattung bei den Gräbern der Erzeltern erzählt, der durch einen Schwur Josefs seinem Vater Jakob zugesichert wird. Gen 48 setzt sich mit der Annahme und Segnung von Efraim und Manasse durch Jakob auseinander. Damit werden die beiden in Ägypten geborenen Enkel trotz ihrer ägyptischen Mutter in die Familie Jakobs aufgenommen. Ihnen kommen somit der gleiche Status und die gleichen Rechte zu wie den direkten Nachkommen Jakobs in erster Linie. Hierin findet sich eine Umkehrung von Gen 21, denn die ägyptische Magd Hagar und ihr Sohn Ismael werden von Abraham verstoßen, während Josefs Kinder angenommen werden und die gleichen Rechte erhalten. Gen 49 berichtet schließlich vom Segen Jakobs für alle seine Söhne, wobei der Schwerpunkt auf Juda (vgl. 49,8–12) und Josef (vgl. 49,22–26) liegt. Das Kapitel endet mit dem Tod Jakobs, dessen Begräbnis in Gen 50,1–14 erzählt wird.

Ihren Abschluss findet die Josefserzählung in Gen 50,15–26. Dabei steht zunächst die endgültige Versöhnung zwischen den Brüdern (vgl. 50,15–21) im Fokus, die ein beständiges brüderliches Verhältnis auch nach dem Tod Jakobs festigt. Dabei wird deutlich, dass Josef von seiner Urteilsposition zurücktritt, da diese nur Gott zukommt (vgl. 50,19f.). Zugleich wird abschließend festgestellt, dass Gott von Beginn an und trotz der bösen Taten der Brüder das Gute im Sinn hatte. Schließlich endet die Erzählung mit letzten biografischen Notizen über das Leben und den Tod Josefs in Ägypten (vgl. 50,22–26).

Im Blick auf die gesamte Erzählung wird deutlich, dass Beginn und Ende thematisch sowie lexematisch aufeinander bezogen sind. Im Zentrum steht dabei der Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern. Dieser bricht einerseits dadurch auf, dass Jakob Josef mehr als seine anderen Söhne liebt (vgl. 37,4). Diese Konfliktlinie durchzieht die gesamte Erzählung. Der Vorzug Josefs führt dazu, dass dieser den Hass seiner Brüder auf sich zieht und sie ihm nicht mehr friedlich begegnen können. Aufgelöst wird dieser Konflikt final in Gen 50,21, indem Josef seine Brüder tröstet und ihnen zu Herzen redet, sodass dieser Konflikt erst nach dem Tod des Vaters endgültig ausgesöhnt wird. Andererseits wird der Brüderkonflikt durch den ersten Traum Josefs, der das Niederfallen der Garben der Brüder vor der Garbe Josefs zeigt (vgl. 37,7), verstärkt. Der Traum steigert den Hass der Brüder und bleibt ein bis zum Ende ungelöster Konflikt. Zwar wird der Traum durch das Niederfallen der Brüder vor Josef in Ägypten bereits früher aufgenommen (vgl. 42,6; 43,26.28; 44,14), mit der Aufnahme in Gen 50,18, wenn die Brüder vor Josef niederfallen und sich zu seinen Knechten erklären, wird dieser Konflikt schließlich final gelöst. Mit dem Aufbrechen des Konfliktes zu Beginn und dessen finalen Lösungen am Ende der Erzählung wird ein narrativer Spannungsbogen deutlich. Die Konfliktlinie um den Streit zwischen den Brüdern wird dabei bis zur Klimax in Gen 45,15 immer weiter zugespitzt, bevor die Konfliktlinie absteigt und in Gen 50 mit der endgültigen Aussöhnung zwischen Josef und seinen Brüdern aufgelöst wird.

Im Blick auf die gesamte Erzählung fällt auch das Kompositionsprinzip der Doppelungen auf. Auf diese Weise werden retardierende Momente in die Erzählung eingebaut, welche die Spannung erhöhen (vgl. Lux):

  • Dreimal wird von Traumpaaren berichtet (vgl. Gen 37,5–11; 40,1–19; 41,1–36).
  • Während die Brüder überlegen, wie sie mit Josef weiterverfahren sollen, ziehen zwei Karawanen (vgl. Gen 37,25–27.28) an ihnen vorbei.
  • Josef wird zweimal von der Frau des Potifar versucht (vgl. Gen 39,7–9.11–12).
  • Zweimal wird Josef von ihr verleumdet (vgl. Gen 39,13–18).
  • Die Hungersnot macht eine zweimalige Reise der Söhne Jakobs nach Ägypten notwendig, um Getreide zu kaufen (vgl. Gen 42,1–38; 43,1–34).
  • Zweimal werden die Brüder in Ägypten von Josef auf die Probe gestellt (vgl. Gen 42,25–28; 44,1–17).
  • Um den Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern final zu lösen, bedarf es zweimal der Versöhnung (vgl. Gen 45,1–15; 50,15–21).
  • Jakob äußert zweimal den Wunsch, bei seinen Vätern bestattet zu werden (vgl. Gen 47,29–31; 49,29–33).

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5. Zentrale Themen und Theologie

Das zentrale Thema der Josefserzählung ist die Versöhnung, die im Zuge des Familienkonflikts zweidimensional, in der Versöhnung unter den Brüdern und generationenübergreifend in der Versöhnung zwischen Jakob und seinen Söhnen, thematisiert wird. Zwar wird der Begriff Versöhnung selbst in Gen 37–50 und auch darüber hinaus im Alten Testament nicht verwendet, dennoch ist die komplette Erzählung davon geprägt. Denn nach dem Auseinanderbrechen der Familie (vgl. Gen 37f.) kann nur auf diese Weise ab der erneuten Begegnung der Brüder in Gen 45 eine neue Beziehung aufgebaut werden. Zum Verständnis des Versöhnungsprozesses braucht es dabei die ganze Erzählung. Sie betrachtet beide Seiten des Geschehens und beide Konfliktparteien mit ihren wechselseitigen Verflechtungen. Dabei sind Doppelungen zentral, die Leiden und Bewährung hinsichtlich mehrerer Parteien zeigen. Versöhnung wird auf diese Weise als Weg dargestellt. Wenngleich der Schwerpunkt auf dem Konflikt der Brüder liegt, ist der eigentliche Auslöser des Konfliktes der Vater, der zwar im Hintergrund bleibt, für die Erzählung aber dennoch bestimmend ist. So tritt Jakob auch ab Gen 42 wieder stärker in den Vordergrund und spielt bei der Lösung des Konfliktes in den langen Reden von Josef und Juda (Gen 44f.) eine zentrale Rolle. Für die Lösung des Konfliktes muss Jakob zudem die Bevorzugung der Rahel-Nachkommen, Josef und Benjamin, und das Misstrauen den anderen Söhnen gegenüber aufgeben. So kann eine neue Begegnung mit Josef und darüber hinaus eine neue wechselseitige Beziehung entstehen (vgl. Gen 45f.).

Im Blick auf die Erzelternerzählungen scheint des Weiteren indirekt eine generationenübergreifende Versöhnung in Gen 46–49 stattzufinden. So erscheint der Zug der ganzen Sippe Jakobs nach Ägypten in Gen 47 als Umkehrung zur Ausgrenzung Abrahams (vgl. Gen 12). Auch das Verhältnis zum Pharao hat sich von Abraham zu Jakob positiv gewendet. Während die Beziehung zwischen Abraham und dem vorherigen Pharao durch Abrahams Lüge negativ geprägt ist (vgl. Gen 12), so erscheint die Beziehung zwischen Jakob und dem Pharao nun positiv, was durch Jakobs Segen deutlich wird (vgl. Gen 47). Mit der Annahme von Efraim und Manasse (vgl. Gen 48) scheint Jakob das Fortjagen Hagars und Ismaels (vgl. Gen 21) wiedergutzumachen. Und der Segen über Efraim und Manasse sowie über alle Söhne Jakobs (vgl. Gen 48f.) stellt einen Gegenpol zur einseitigen Segnung Isaaks (vgl. Gen 27) dar. Jakob scheint also durch sein Handeln bisher ungelöste Konflikte aus der Erzelternerzählung mit seinem Handeln auszusöhnen. So lässt sich insgesamt mit Fischer sagen, dass die Josefserzählung „Versöhnung als einen Weg unter Menschen [zeigt], der aus […] Haß und Entzweiung über Leid und Erkenntnis wieder zu Verständigung und geschwisterlichem Eintreten füreinander führt.“ (Fischer, 103)

Auch theologisch scheint die Versöhnung eine Spitze der Josefserzählung zu sein. Während im Ordnungsdenken des Alten Orients und aus weisheitlicher Perspektive ein Verhalten nach der Maxime des Tun-Ergehen-Zusammenhangs erwartet werden könnte, setzt die Erzählung hier einen anderen Akzent. Durch die starke Betonung der Bereitschaft Josefs zur Vergebung wird die Vergeltung außer Kraft gesetzt und so das Leben erhalten. Dabei zeigt die Erzählung, dass Versöhnung nur dann geschehen kann, wenn die eigene Schuld erkannt und vor Gott und Menschen bekannt wird (vgl. Gen 42,21f.; 44,16; 50,17f.). Diese Erkenntnisse führen zu dem Schluss, dass sich eine theologische Sinnspitze im Vorrang der Gnade vor der Gerechtigkeit findet.

Für die Erzählung ist auch das göttliche Handeln zentral, das insgesamt ein indirektes, verborgenes Handeln bleibt bzw. nur im Nachhinein als göttliche Vorsehung erkennbar wird. Zwar wird auch vom direkten Eingreifen Gottes berichtet (vgl. Gen 38,7.10; 39,2f.; 46,2–4), jedoch nie hinsichtlich des Konfliktes der Brüder. Die Konfliktlösung bleibt ein Weg zwischen Menschen, wenngleich dieser nicht ohne Gott denkbar wäre. „Für die Verwandlung Josefs, für das Erkennen eigener Schuld bei den Brüdern, besonders aber für die beiden Antworten Josefs in Gen 45 und 50 kommt Gott die entscheidende Rolle zu. Von ihm zu reden hilft, Unrecht und Konflikte zu überwinden, und führt so zu Versöhnung.“ (Fischer, 106, Hervorhebung G. F.) Zudem scheint Gott die Handlungen im Hintergrund zu lenken. Dies wird einerseits in den Träumen deutlich. Träume gelten in der Antike als göttliche Botschaften, die es zu dechiffrieren gilt, um den göttlichen Willen bzw. das Schicksal zu verstehen. So ist einerseits der Doppeltraum Josefs (vgl. Gen 37,5–11) ein Deuteschlüssel für die Erzählung. Josef lernt seine Träume im Laufe des Lebens zu begreifen, und versteht so, dass er von Gott nach Ägypten geschickt wurde, um das Leben seiner Familie zu erhalten. Andererseits bringen Träume dem Leben Josefs immer wieder eine neue Wende (vgl. Gen 41,16.25.28.39; 46,2). Auch der Zufall spielt scheinbar eine entscheidende Rolle für das Fortschreiten der Erzählung. So trifft Josef bspw. auf die prominenten Gefangenen des Pharao (vgl. Gen 40), der Obermundschenk erinnert sich im Weiteren an ihn (vgl. 41,8–13) und die Brüder stoßen bei ihrer ersten Reise direkt auf Josef (vgl. 42,6). Die scheinbar zufälligen Gegebenheiten zeigen jedoch die göttliche Vorsehung für Josef. Der Erzähler bringt dies auch direkt ins Wort, wenn er von der Erkenntnis der Ägypter berichtet, dass Josef alles gelingt, weil Gott mit ihm ist (vgl. 39,2.21.23; 41,38) und auch Josef bringt die die göttliche Vorsehung schließlich ins Wort, wenn er sich seinen Brüdern zu erkennen gibt (vgl. 45,7f.).

Die göttliche Vorsehung erhält dabei auch eine menschliche Antwort: die Fürsorge. Diese Fürsorge beweist Josef durch kluges Handeln gegenüber seinem Vater, seinen Brüdern und den Ägyptern (vgl. Gen 39,5; 45,21–23; 47,12.25; 50,21). Dabei zeichnet er sich auch durch Gottesfurcht aus und entspricht so dem Ideal eines weisen Mannes sowie dem Ideal eines Menschen, der sich an Gottes Gebote und Weisungen hält (vgl. bspw. bzgl. Ehebruch Gen 39,9; vgl. Ex 20,14; Dtn 5,18).

Damit verbunden spielt auch Herrschaft in der Josefserzählung eine wichtige Rolle. Bereits in Gen 37 wird dieses Thema durch die Träume Josefs aufgenommen und in der gesamten Erzählung verfolgt. Herrschaft wird dabei insgesamt als Respekt vor und Unterordnung unter einen Menschen (Gen 39,9; 41,30.44) oder Gott (Gen 50,19) verstanden. Damit beinhaltet sie eine Rechenschaftspflicht anderen gegenüber. Sie ist dabei „nicht als ein durch Herkunft und Geburt erworbenes Vorrecht des Älteren über die Jüngeren definiert (vgl. Gen 25,23; 1 Sam 16,1-13), sondern gründet in der freien Erwählung durch Gott (Gen 45,8f […]) und legitimiert sich gegenüber den Beherrschten durch ein dem Leben und Überleben dienendes, vorausschauendes und erhaltendes Handeln (Gen 39,5; Gen 41,33-36; Gen 45,5-7.10; Gen 47,25; Gen 50,21).“ (Lux)

Letztlich ist auch Lebenserhaltung der Familie Jakobs ein Thema der Erzählung. So zeichnet Gen 37–50 den Weg Israels nach Ägypten als einen Weg, der notwendig ist, um die eigene Sippe am Leben zu erhalten. Dabei ist dieser Weg eng mit dem indirekten Handeln Gottes verbunden, was in der Offenlegung des göttlichen Willens durch Josef deutlich wird (vgl. Gen 45,5–7; 50,2). Zugleich wird damit auch die für den Exodus notwendige Erklärung, wie Israel nach Ägypten kam, geschaffen.

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6. Quellen

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Erstellt von Katharina Neu, 2025.