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Inhaltsverzeichnis
A. Thematische Perspektiven
1. Zur Literarkritik
Dass der Evangelist einen vorgegebenen Text aufgegriffen hat, legt sich schon durch sprachliche und begriffliche Besonderheiten nahe (s. dazu auch unten 3).
Die unterschiedliche sprachliche Gestalt des Stücks weist darauf hin, dass der vorgegebene Text bearbeitet wurde:
- In den VV.1–5 und dann wieder in VV.10–12b finden sich kurze aneinandergereihte Hauptsätze, in denen jeweils ein Stichwort aus dem vorherigen Satz aufgenommen wird (mit Eigenheiten für V.2).
- Die übrigen Abschnitte unterscheiden sich stilistisch deutlich von diesen Passagen, die hymnischen Charakter tragen (besonders deutlich zu Johannes dem Täufer: VV.6–8.15, die sich auch nicht gut in den Gedankengang einfügen).
V.17 bringt unvorbereitet Mose und das Gesetz ein; V.18 verdankt sich wohl der Intention, zur Erzählung überzuleiten.
Weitere literarkritische Entscheidungen sind anders als die bisher genannten in hohem Maß umstritten (s.u. C. Anhang).
Dass der Evangelist sein Werk mit einem bereits bestehenden Text eröffnet, hat grundsätzlich Gewicht für die Rezeption des Werkes: Das Evangelium interpretiert Gemeindetradition, einen bekannten (und veränderten) Hymnus; und dass die Erzählung mit einem bekannten hymnischen Stück eingeleitet wird, setzt umgekehrt einen ersten Markstein für die Wahrnehmung der Jesus-Geschichte.
2. Zum traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund
Der Joh-Prolog ist geprägt von einem christologischen Logos-Konzept, das nur hier in der urchristlichen Literatur bezeugt ist. Deshalb stellt sich die Frage nach besonderen traditions- und religionsgeschichtlichen Verbindungslinien.
Inhaltsverzeichnis
2.1 Weisheitstradition
Die Aussagen über den λόγος lassen sich in mehreren Punkten vergleichen mit der jüdischen Weisheitsspekulation.
- Die Weisheit (σοφία) ist präexistent zur Welt, bei der Schöpfung anwesend, in besonderer Nähe zu Gott (Spr 8,22–30; Ijob 28,12–23). Nicht sicher bezeugt ist die Vorstellung der Weisheit als Schöpfungsmittlerin. ð Joh 1,1a.b; 1,2
- Die Weisheit kommt zu den Menschen bzw. zu Israel (Spr 8,31–9,6; Bar 3,37f.; Sir 24).
⇒ Joh 1,9.10a.11a.14b (»unter uns gewohnt«) - – Die Weisheit ist Quelle des Lebens und der Rettung (Bar 4,1; Spr 8,34f.; Weish 9,18).
⇒ Joh 1,4.12 (Gotteskindschaft).16f. (Gnade) - Die Weisheit wird abgelehnt (Bar 3,12; äthHen 42). ⇒ Joh 1,10c.11b
Dass Weisheit nicht nur als theoretische und praktische Fähigkeit zur Bewältigung des Lebens, sondern in der atl-jüdischen Tradition auch personifiziert gedacht und mit dem Ur-Anfang in Verbindung gebracht wurde, ist eine Voraussetzung des Joh-Prologs. Nicht erklären lässt sich so aber die Rede vom λόγος.
2.2 Der λόγος bei Philo von Alexandrien
Zur Erklärung der Rede vom λόγος sind Einflüsse hellenistischer Philosophie zu veranschlagen, wie sie bei Philo von Alexandrien in Verbindung mit der jüdischen Tradition begegnet.
- In der griechischen Philosophie wurde λόγος nicht nur auf die Fähigkeit und den Vollzug des Denkens bezogen, sondern auch im Sinne eines Prinzips verstanden, das die Welt durchdringt und bestimmt (v.a. Heraklit; Stoa).
- Daran knüpft Philo an. Zu einigen seiner Aussagen über den Logos finden sich Parallelen im Joh-Prolog:
- Präexistenz: Die Welt der Ideen wurde vor der Erschaffung der Welt hervorgebracht, sie wird mit dem Logos identifiziert (Op. Mund 17.24; Quod Deus 31). ⇒ Joh 1,1
- Philo bedenkt den Unterschied zwischen »göttlich« (θεός), und »Gott« (ὁ θεός) und wendet den artikellosen Ausdruck auf den Logos an (Somn. I 229f). ⇒ Joh 1,1
- Der Logos ist Schöpfungsmittler (Cher 125–127). ⇒ Joh 1,3.10b (die Vorstellung von Christus als Schöpfungsmittler ist, ohne Bezug auf den λόγος, auch anderweitig in der urchristlichen Tradition bezeugt: 1Kor 8,6; Kol 1,16; Hebr 1,2)
- Der Logos wird mit dem Leben (Fug. 97) und der Lichtmetaphorik (Somn. I 75; Conf. Ling. 60–63) verbunden. ⇒ Joh 1,4.9
Durch die Logos-Christologie wird Christus also in ein Denken eingeordnet, das auf Ursprung und Zusammenhalt des Kosmos ausgerichtet ist, und mit dem Prinzip identifiziert, das hinter der sichtbaren Welt als deren Grund und durchdringende Kraft erkennbar wird. Der Inkarnationsgedanke ist allerdings in dem religionsgeschichtlichen Vergleichsmaterial nicht belegt.
3. Zum Verhältnis von Prolog und Erzählung
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3.1 Die Eigengestalt des Prologs
Als Prolog weist Joh 1,1–18 einerseits eine Eigengestalt auf:
- Sprachlich hebt sich der Prolog durch seinen hymnischen Charakter vom Rest des Evangeliums ab. Zwischen 1,18 und 1,19 liegt ein tiefer Einschnitt, der auch durch die Bezüge auf Johannes nicht aufgehoben wird.
- Er weist ein eigenes Profil hinsichtlich der theologischen Begrifflichkeit auf:
- nur im Prolog: Logos; zelten unter uns (σκηνόω); Fülle (πλήρωμα); Gnade (χάρις).
- anderer Sinn als in der Erzählung (13,1): »die Eigenen« (οἱ ἴδιοι).
- Sendung nur im Blick auf Johannes, nicht auf Jesus.
- Inhaltlich ist der Prolog keine Zusammenfassung der Jesus-Geschichte.
3.2 Verbindungen zur Erzählung
Verbindungen zur in 1,19 beginnenden Erzählung ergeben sich
- in personaler Hinsicht: Es entsteht eine Klammer zwischen Prolog und Briefschluss (»Jesus Christus« in 1,17; 20,31 [nur noch 17,3, wohl spätere Schicht]), außerdem eine Verbindung über Johannes;
- durch theologisch bedeutsame Begriffe aus dem Evangelium: Licht (φῶς), Leben (ζωή), Wahrheit (ἀλήθεια), Herrlichkeit (δόξα), Welt (κόσμος), glauben (πιστεύειν), erkennen (γινώσκειν);
- durch die textliche Gestaltung: 1,18 schlägt nicht nur einen Bogen zum Beginn, sondern ist auch deutlich als Übergang zur Erzählung gestaltet.
3.3 Zur Funktion der Vorrede
Der dargestellte doppelte Befund lässt sich erklären, wenn man die Funktion der Vorrede in literarischen Werken beachtet.
- Grundsätzlich hat ein Prolog die Funktion des Verstehensschlüssels:
- In griechischer und lateinischer Literatur der Antike hatte – über Gattungsgrenzen hinweg – das Vorwort die Funktion, über den Zweck des Werkes zu unterrichten und dessen Verständnis zu leiten.
- In moderner Literaturwissenschaft weist die Theorie des Paratextes in dieselbe Richtung. Passagen, die einen Text begleiten oder einrahmen (z.B. Überschrift, Vorwort, Nachwort, Klappentext, Werbung), leiten als Kontrollinstrument der Dekodierung die Lektüre. Der Prolog setzt nach Abschluss des Werkes die entscheidenden Marken für dessen Verständnis (Verhältnis der Metareflexivität).
Deshalb fasst der Joh-Prolog die Geschichte Jesu nicht zusammen. Er lenkt die Lektüre, nimmt sie nicht vorweg.
- Im Joh-Prolog zeigt sich die genannte Funktion auf der Ebene der Interaktion mit den Lesern:
- Das Werk beginnt mit einem bekannten (wenn auch veränderten) Text.
- In den »Wir-Formen« (1,14.16) schließt sich der Autor mit den Lesern zusammen. Aufgrund des Prologs können sie die Missverständnisse durchschauen, denen die Akteure der Erzählung unterliegen (s. z.B. 8,53).
- Die Klammer zum Schluss (20,30f.) verstärkt die Interaktionsfunktion: Die Adressaten werden dort als Glaubende direkt angesprochen.
- Auf der inhaltlichen Ebene wird diese Funktion ebenfalls deutlich:
- Die Bedeutung des Protagonisten wird geklärt durch Nennung der Beziehungen (zu Gott, Täufer, Mose), des Schauplatzes (universal: Welt), der Grundstruktur der Erzählung.
- Wichtige Begriffe werden vorweggenommen (s.o. 3.2).
- Es wird Spannung aufgebaut in offenbleibenden Aussagen (z.B.: wie erweist sich der Logos als Licht?) und unterschiedlichen Reaktionen, die nicht weiter erläutert werden.
Dass der Prolog erst nachträglich der Erzählung zugefügt wurde, ist angesichts dieser am Text erweisbaren hermeneutischen Funktion unwahrscheinlich.
B. Ausgangstext: Joh 1,1–18
1. Aufbau
Der Joh-Prolog lässt sich in drei Strophen gliedern.
VV.1–5: Der präexistente Logos und seine Bedeutung
Bestimmt wird die Beziehung des Logos
- zu Gott (VV.1–3: Göttlichkeit; Schöpfungsmittlerschaft),
- zu den Menschen, deren negative Reaktion angedeutet ist (VV.4f.). Vom Logos kann nicht nur im Blick auf seinen göttlichen Ursprung gesprochen werden; zu ihm gehört notwendig seine Beziehung zur Menschenwelt.
Die Beziehung zur Menschenwelt kommt in jeder Strophe zur Sprache (V.5/VV.9f./V.14).
VV.6–13: Der Logos in der Welt: bezeugt, abgelehnt, aufgenommen
- Durch die Nennung einer geschichtlichen Gestalt und ihrer Sendung durch Gott rückt die Menschenwelt deutlicher in den Blick.
- Das Kommen des Lichts in die Welt wird ausführlicher gestaltet (dreimal: VV.9.10.11),
- ebenso die Reaktion darauf, negativ (V.11) und positiv (VV.12f.).
VV.14–18: Der inkarnierte Logos »unter uns«
- Das Kommen des Logos in die Welt erscheint nun konkreter als »Fleischwerdung«.
- Nur noch die positive Reaktion wird geschildert, aufgenommen in eine »Wir-Aussage«.
- Die Glaubenden erkennen »im Fleisch« die »Herrlichkeit« des Logos (V.14). Auch der Empfang von »Gnade über Gnade« (V.16) weist auf diese Binnenperspektive.
Zu erkennen ist eine doppelte Bewegung in je drei Etappen:
A. Der göttliche Logos kommt in die Welt, in jeder Strophe konkreter gefasst:
- metaphorisch: das Licht scheint in der Finsternis,
- er kommt in die Welt/sein Eigenes,
- er wird Fleisch, so dass von einer konkreten Person zu sprechen ist (V.17)
B. Die Menschenwelt reagiert unterschiedlich:
- Ablehnung metaphorisch: die Finsternis hat das Licht nicht ergriffen.
- In der Welt wird der Logos abgelehnt und angenommen.
- Die Glaubenden nehmen den inkarnierten Logos an.
Bei der Konzentration auf die Glaubensperspektive begegnet die konkreteste Aussage zur Ankunft des Logos. Der Glaube nimmt die Zumutung der »Fleischwerdung« des Logos an.
Von V.1 zu V.18 wird ein Bogen geschlagen: Die Verbundenheit des Logos mit Gott wird aufgenommen.
»war bei Gott« (V.1) → »ruht an der Brust des Vaters« (V.18)
»war Gott (θεός)« (V.1) → »Einziggezeugter, Gott (von Art) (μονογενὴς θεός)« (V.18)
2. Auslegung
VV.1f.
1 Im Anfang war der Logos und der Logos war bei Gott und Gott war der Logos. 2 Dieser war Im Anfang bei Gott.
Joh setzt ein mit dem Bezug zum Ur-Anfang. V.1 spielt auf Gen 1,1 an, erkennbar an der Formulierung »im Anfang« (ἐν ἀρχῇ) und das Thema der Schöpfung in V.3. Seine Rede von ἀρχή unterscheidet sich von der des Mk- oder LkEv. Mk beginnt mit dem Täuferwirken als »Anfang des Evangeliums« (Mk 1,1). Lk spricht in seinem Vorwort von den »Augenzeugen von Anfang an« (Lk 1,2) – mit vergleichbarer Bedeutung (s. Apg 1,21f.; 10,37f.). Die Vorgeschichten von Mt und Lk setzen (ohne Gebrauch des Wortes »Anfang«) beim Beginn der menschlichen Existenz Jesu an. Joh bringt Jesus noch unmittelbarer zu Gott in Beziehung als es durch die geistgewirkte Empfängnis aussagbar ist.
Damit wird die nachfolgend erzählte Geschichte Jesu denkbar grundlegend auf Gott zurückgeführt, so kann auch der irdische Jesus auf seine Ursprünge verweisen. Die Präexistenz wird aufgenommen im Streit mit den Juden: »Ehe Abraham war, bin ich« (Joh 8,58) – eine Aussage, die in der Erzählung ganz unverstanden bleibt und mit dem Versuch der Steinigung beantwortet wird. Die Leser des Prologs dagegen sind orientiert und können vom Beginn her diesen Anspruch Jesu einordnen (s.a. 1,30).
Zu den religionsgeschichtlichen Hintergründen dieser Christologie s.o. A.2.
VV.3f.
3 Alles wurde durch ihn und ohne ihn wurde auch nicht eines, was geworden ist. 4 In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen.
Die Aussage von der Schöpfungsmittlerschaft des Logos hebt den bereits benannten Zusammenhang mit Gen 1 nicht auf. Zwar findet sich hier keine unmittelbare terminologische Verbindung, das in der LXX für »erschaffen« gebrauchte Verb (ποιεῖν) erscheint im Prolog nicht. Joh 1 interessiert nicht das Schöpferwalten Gottes, sondern eben die Mittlerschaft des Logos. Es wird nicht einfach die Schöpfungsaussage zitiert und damit wiederholt. Gott als Schöpfer kommt insofern in den Blick, als er seine Schöpfung durch die Mittlerschaft des Logos ins Werk setzte. Deshalb ist nicht vom Erschaffen die Rede, sondern vom »Werden durch« (γίνομαι: VV.3.10). Damit ist die Erschaffung der Welt durch Gott natürlich nicht negiert, doch ist eine Instanz eingeschaltet, von der in Gen 1 noch nichts zu lesen ist.
Durch die Schöpfungsmittlerschaft wird auch die Soteriologie im Ur-Anfang verankert: »In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen« (V.4). »Leben« (ζωή) ist der wichtigste Heilsbegriff im JohEv. Dass Jesus gekommen ist, »damit sie das Leben haben und es in Fülle haben« (10,10), erschließt sich vom Prolog her als Ausdruck eines in der Schöpfung fundierten Zusammenhangs. In Jesus begegnen die Menschen demjenigen, der in einem ganz ursprünglichen Sinn Leben in sich trägt und deshalb auch vermitteln kann.
Zugleich wird mit »Leben« eine zweite Heilsmetapher eingeführt: das Licht. Jesus wird sich als das »Licht der Welt« bezeichnen (z.B. 8,12; 9,5; 12,46). In diesem Zusammenhang hat κόσμος (Welt) keine negative Bedeutung, sondern allein universalen Sinn. Jesus ist Licht für alle, es gibt in dieser Hinsicht keine Grenze. Diese Dimension wird im Prolog grundgelegt. Indem er die gewöhnliche menschliche Erfahrungswelt überschreitet und auf den absoluten Anfang zurückgeht, werden Christologie und Soteriologie in ihrer universalen Bedeutsamkeit akzentuiert: »Licht der Menschen«.
Zur Interpunktion von Joh 1,3f.
Ist zu lesen: καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν. ὃ γέγονεν 4 ἐν αὐτῷ ζωὴ ἦν.
Und ohne ihn wurde auch nicht eines. Was geworden ist, war in ihm Leben.
Oder: καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν ὃ γέγονεν. 4 ἐν αὐτῷ ζωὴ ἦν.
Und ohne ihn wurde auch nicht eines, was geworden ist. In ihm war Leben.
Die erste Möglichkeit ist inhaltlich schwierig: So wird »Leben« allgemein mit dem Geschaffenen verbunden, während es nach der folgenden Aussage (wie auch im Blick auf die Jesus-Erzählung) ein christologisch besetzter Begriff ist. Dies wird auch durch instrumentales ἐν αὐτῷ (»war ›durch ihn‹ Leben«) nicht gelöst. So könnte man zwar an eine christologisch reservierte Vermittlung des Lebens denken: Erst durch den Logos kann dem Geschaffenen die Qualität »Leben« zugesprochen werden. Im Folgenden wird aber das Leben nicht allgemein mit der Schöpfung verbunden, sondern mit den Menschen (»das Leben war das Licht der Menschen«).
V.5
5 Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht ergriffen.
Im Anschluss an die letzte Aussage vom Leben als dem Licht der Menschen kommt nun der Gegenbegriff Finsternis (σκοτία) in den Blick. Nach der Aussage über die Rolle des Logos als Schöpfungsmittler kann mit der Finsternis nicht in gnostischem Sinn die negativ gewertete materielle Welt im Gegensatz zur oberen Lichtwelt gemeint sein. Das Geschaffene konstituiert nicht als solches die Finsternis. Im Rahmen des joh Entscheidungs-Dualismus ist der Gegenbegriff zum Licht vielmehr durch dessen Ablehnung bestimmt. Wer sich dem Licht verweigert, versetzt sich in den Bereich der Finsternis.
In zeitlicher Hinsicht ist die Aussage geprägt von der Spannung zwischen Gegenwart und Vergangenheit: das Licht scheint (φαίνει), die Finsternis hat es nicht ergriffen (οὐκ κατέλαβεν). Ist im Anschluss an Traditionen von der vergeblichen Suche der Weisheit nach einem Wohnort unter den Menschen (s.o. A.2.1) daran gedacht, dass der in der Schöpfung gegenwärtige Logos in der Menschheitsgeschichte keinen Erfolg hatte? Oder ist im Vorgriff auf V.14 bereits die Fleischwerdung des Logos und sein Geschick in der Menschenwelt im Blick? Der Abschnitt VV.9–13 zeigt, dass die Aussage über die Fleischwerdung des Logos nicht den ersten Bezug auf das geschichtliche Kommen des Logos bildet. Dass dieses Kommen mehrmals unter verschiedenen Aspekten beleuchtet wird, ist also durchaus denkbar. Die erwähnte zeitliche Spannung wird auf diese Weise aber nicht erklärt. Sie könnte darauf hinweisen, dass einerseits das fortwährende Wirken des Logos in der Schöpfung im Blick ist (deshalb Präsens), andererseits aber die Erfolglosigkeit dieses Wirkens festgestellt wird (komplexiver Aorist). Und dies führt zum geschichtlichen Kommen des Logos in die Welt, angekündigt durch das Auftreten des Johannes. In diesem Fall wäre in der ersten Strophe des Hymnus (auch in der Fassung des Evangelisten) konsequent die grundsätzliche Bedeutung des Logos entfaltet und von seiner geschichtlichen Konkretion noch abgesehen. Entscheidet man in diesem Sinn, ist auch in einem anderen Streitfall eine bestimmte Lösung nahegelegt.
Uneindeutig ist nämlich auch der Sinn des zweiten Prädikats in V.5. Meint οὐκ κατέλαβεν, wie oben übersetzt, »hat es nicht ergriffen, nicht erfasst«, also: abgelehnt? Oder ist καταλαμβάνειν hier im Sinn von »überwältigen« zu verstehen: Die Finsternis hat das Licht nicht besiegt? Tatsächlich wird das fragliche Verb in Joh 12,35 in diesem Sinn gebraucht. Dann wäre in V.5 bereits ein Ausblick auf die Geschichte Jesu gegeben: Mächte der Finsternis haben ihn ergreifen und hinrichten lassen, aber, wie die Auferstehung zeigt, nicht wirklich überwältigt. Wenn die erste Strophe des Hymnus aber ausschließlich von der grundsätzlichen Bedeutung des in der Schöpfung wirkenden Logos handelt, fügte sich dieser Bezug auf die Geschichte Jesu nicht gut ein. Wer in der zuvor verhandelten Frage der zeitlichen Spannung anders entscheidet, hat hier eine andere Urteilsbasis. Allerdings scheint der Prolog doch von einer sich steigernden Bewegung hin zur geschichtlichen Konkretion gekennzeichnet zu sein: zunächst (ungeschichtlich) Logos als Licht in der Schöpfung (1. Strophe); dann Kommen des Logos in die Welt, ohne auf eine personale Konkretion abzuheben (2. Strophe), schließlich ausdrückliche Identifizierung mit einer menschlichen Person (V.14.17).
VV.6–8
6 Es trat ein Mensch auf, gesandt von Gott, sein Name war Johannes. 7 Dieser kam zum Zeugnis, damit er Zeugnis gebe für das Licht, damit alle durch ihn glauben. 8 Jener war nicht das Licht, sondern damit er Zeugnis gebe für das Licht.
Ton und Szenerie wechseln abrupt. Nun geht es um das Wirken eines Menschen, der schon durch die betonte Präsentation als ἄνθρωπος vom göttlichen Logos abgesetzt wird. Entsprechend wird von ihm nicht mehr in hymnischem, sondern in Erzählstil gehandelt. Dennoch wird die Verbindung seines Wirkens mit Gott ausdrücklich betont: Johannes ist von Gott gesandt. Trotzdem wird seine Rolle auch in negativer Hinsicht bestimmt, indem gesagt wird, was er nicht ist: das Licht. Er ist gesandt, um für das Licht Zeugnis abzulegen (V.7a.8b).
An mehreren Stellen wird diese Aufgabe des Täufers in der nachfolgenden Erzählung benannt – im Rahmen seines Auftretens (1,19.32.34) wie auch im Rückblick auf sein Wirken (3,26; 5,33.36). Genauer muss man sogar sagen: Diese Aufgabe wird nicht nur benannt, sondern auch erzählerisch eingelöst. Im JohEv legt Johannes tatsächlich ausdrücklich Zeugnis ab für Jesus. Anders als in den synoptischen Evangelien weist der Täufer öffentlich auf Jesus als denjenigen hin, den er als den nach ihm Kommenden angekündigt hat (1,29–34). Ziel des Zeugnisses ist, dass alle zum Glauben kommen (V.7). Von V.12 her ist die christologische Bestimmung dieses Glaubens eindeutig (s.a. 10,40–42).
Der Täufer selbst bestätigt nach joh Darstellung seine Sendung wie auch seine untergeordnete Bedeutung im Vergleich zu Jesus (3,26–30). Bereits sein erstes Wort greift die negative Abgrenzung auf, die auch den Einschub in den Prolog kennzeichnet. Auf die Frage der Jerusalemer Delegation hin, wer er sei, teilt Johannes zunächst mit, wer er nicht ist: »Ich bin nicht der Christus« (1,20). An der Person des Johannes ist die Verzahnung zwischen Prolog und Erzählung also besonders deutlich zu erkennen.
VV.9–11
9 Es war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wenn es in die Welt kommt. 10 In der Welt war er, und die Welt wurde durch ihn und die Welt hat ihn nicht erkannt. 11 In das Eigene kam er und die Eigenen nahmen ihn nicht auf.
Der Anschluss von V.9 an die vorherige Aussage ist schwierig. Wer ist Subjekt der Aussage? Aus inhaltlichen Gründen ist es ausgeschlossen, das Subjekt aus V.8 zu übernehmen und zu übersetzen: Er war das wahre Licht. Gerade wurde diese Bestimmung für Johannes ausgeschlossen. Also der Logos? Warum wird er aber nicht ausdrücklich genannt? So bleibt die Möglichkeit, das Licht als Subjekt zu verstehen: Es war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet. Der logische Zusammenhang zum vorherigen Satz wäre dann im Bezug auf das Täuferzeugnis zu suchen. Jenes Licht, von dem Johannes Zeugnis abgelegt hat, war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet.
Die syntaktisch schwierige Partizipialwendung am Ende des Satzes lässt sich in dieses Verständnis einordnen: Es war Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wenn es in die Welt kommt.
Zur syntaktischen Einordnung von ἐρχόμενον εἰς τὸν κόσμον Joh 1,9
Ἦν τὸ φῶς τὸ ἀληθινόν, ὃ φωτίζει πάντα ἄνθρωπον, ἐρχόμενον εἰς τὸν κόσμον.
Wie ist die partizipiale Wendung ἐρχόμενον εἰς τὸν κόσμον syntaktisch einzuordnen?
- Da die Wendung ἔρχεσθαι εἰς τὸν κόσμον ansonsten im JohEv das Kommen des Offenbarers bezeichnet, ist sie kaum auf ἄνθρωπον zu beziehen.
- Schwierig ist auch (wegen des großen Abstandes) eine Deutung als conjugatio periphrastica: ἦν … ἐρχόμενον εἰς τὸν κόσμον. (»das wahre Licht … war in die Welt gekommen«).
⇒ Die partizipiale Wendung ist als Teil des Relativsatzes zu verstehen, aber nicht auf ἄνθρωπον bezogen, sondern als Erläuterung zur ganzen Aussage: »das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wenn es in die Welt kommt.«
Das Kommen des Lichtes ist als geschichtliches Kommen zu verstehen. Auf das geschichtliche Zeugnis vom Licht (Johannes) folgt der Bezug auf das geschichtliche Erscheinen des Lichts. Schauplatz ist die Welt (κόσμος). Dieses Kommen ist nicht nur für einen Winkel des römischen Reiches von Bedeutung, sondern universal. Entsprechend erleuchtet das in die Welt gekommene Licht jeden Menschen (V.9). Allerdings zeichnet sich bereits der doppeldeutige Begriff von κόσμος im JohEv ab. Neben den universalen Sinn tritt derjenige, nach dem die Welt durch den Unglauben bestimmt ist. Die umfassend wirkende Aussage »die Welt hat ihn nicht erkannt« (V.10c) kann nicht umfassend gemeint sein, weil nachfolgend ja auch von denen gesprochen wird, die ihn aufgenommen haben. So wird »Welt« auch Gegengröße zur glaubenden Gemeinde. Besonders in den Abschiedsreden (Kapp. 14–17) zeigt sich dieser Sinn.
Die Rede vom Eigentum, in das der Logos kam, ist ebenfalls auf dieser universalen Linie zu deuten. Es geht also nicht speziell um die Ablehnung durch Israel. Der Logos kommt in die Welt als sein Eigentum. Die kurz zuvor wachgerufene Vorstellung von der Schöpfungsmittlerschaft legt diesen Bezug nahe. Die Paradoxie der Aussage besteht darin, dass der Logos durch seine eigenen Geschöpfe abgelehnt wird.
VV.12f.
12 Alle aber, die ihn aufnahmen – er gab ihnen Vollmacht, Kinder Gottes zu werden, (ihnen), die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus Blut und nicht aus dem Willen des Fleisches und nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
Die positive Reaktion auf das Kommen des Logos in die Welt wird zunächst in Anknüpfung an die Formulierung der Ablehnung als »aufnehmen« bezeichnet. Anschließend wird dies als Glaube erläutert, in der für das JohEv typischen Wendung πιστεύειν εἰς (s. dazu auch »Glaube und Sakrament im Johannesevangelium«, A.1.1). Dass sich der Glaube hier auf den Namen richtet, transportiert keine besondere Bedeutung. Auch wenn die Rede ist vom »glauben an ihn«, geht es um die Anerkennung des Offenbareranspruchs, der in der Erzählung unmittelbar mit der Person Jesu verknüpft ist. Die Formulierung könnte an dieser Stelle allerdings deshalb gewählt sein, weil die Person Jesu noch gar nicht eingeführt ist. Der Bezug auf das ὄνομα deutet darauf, dass sich der Glaube auf eine bestimmte Person richtet, und nicht auf einen ungeschichtlich bleibenden Logos.
Die soteriologische Bedeutung des Glaubens wird mit der Gabe der Gotteskindschaft entfaltet. Deren Geschenk-Charakter wird eindringlich betont: Wer zum Glauben kommt, wird erst zu Gottes Kind (γενέσθαι), und er wird dies nicht aus eigener Kraft, vielmehr wird die Vollmacht dazu gegeben. Die in V.13 angehängte Erläuterung führt diesen Gedanken dadurch aus, dass natürliche Zeugung und Zeugung aus Gott gegenübergestellt werden (s.a. Joh 3,3.5, dazu »Die johanneische Christologie«, B. VV.3–8).
Mit der Gegenüberstellung der Reaktionen auf das Kommen des Logos in den VV.10–13 wird die Grundstruktur der Erzählung vorweggenommen, auch wenn die Geschichte Jesu im Prolog nicht als ein Weg zum Kreuz gekennzeichnet wird. Aber es zeichnet sich ab, dass hinter dieser Geschichte die Initiative Gottes steht und dass diese sowohl Ablehnung als auch Zustimmung erfährt. Außerdem bereitet der ausführliche Bezug auf die Glaubenden die Wir-Rede im folgenden Vers vor.
V.14
14 Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns (hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen) und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit, wie sie dem Einzigerzeugten vom Vater (her zukommt), voll Gnade und Wahrheit.
Dieser Vers setzt im Ablauf des Prologs einen auffälligen Akzent: Erstmals seit den drei eröffnenden Sätzen (1,1) ist wieder ausdrücklich vom Logos die Rede. Nun wird der Ur-Anfang in greifbare Nähe geholt: zum einen durch die Verbindung des Logos mit dem Fleisch, zum andern durch die Tatsache, dass eine Wir-Aussage im Zusammenhang mit dem irdischen Wohnen des Logos erscheint. Es zeigt sich ein doppelter Gedankenfortschritt: Das »Fleisch-Werden« deutet die Identifizierung mit einem bestimmten Menschen an (noch deutlicher als zuvor mit dem »Namen«), und auch die Rede vom Wohnen ist konkreter gefasst als die vom Kommen in die Welt oder in sein Eigentum. Dass das Wohnen als »zelten« bezeichnet wird (ἐσκήνωσεν: »er hat sein Zelt aufgeschlagen«), setzt außerdem ein offenbarungstheologisches Signal durch die Anspielung auf das Offenbarungszelt aus der Sinai-Erzählung (Ex 25–40; Bogen zu V.17). Zugleich ist mit dem »unter uns« die Aussage von V.14b vorbereitet: »Wir haben seine Herrlichkeit gesehen«. In der »Wir-Gruppe« wird erkannt, dass der Logos ins Fleisch gekommen ist.
Die »Wir-Sprecher« zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine theologische Spannung aushalten. Der Prolog formuliert diese Spannung, die dann die Jesus-Erzählung bestimmen wird und deshalb als programmatisch für das JohEv gelten muss. In V.14 stehen ja Inkarnation und Herrlichkeit des Logos unmittelbar nebeneinander. In dem Menschgewordenen, in Jesus handelt der ewige Logos. In seiner menschlichen Existenz kann Jesus als der Offenbarer Gottes erkannt werden. Insofern er in dieser Funktion ganz auf die Seite Gottes gehört, er das inkarnierte Wort Gottes ist, ist auch die Rede vom Sehen seiner Herrlichkeit angemessen.
Dass Johannes so spannungsreich zwischen Fleischwerdung und Herrlichkeit denken und formulieren kann, zeigt besonders seine hintergründige Begrifflichkeit für das Passionsgeschehen. Gerade für das äußerlich nur als Erniedrigung wahrnehmbare Leiden, verwendet er das Verb »verherrlichen« (δοξάζειν). Damit wird die Passion nicht verharmlost, doch dem Auge der Glaubenden wird hinter der Szenerie der Erniedrigung die Erhöhung zu Gott, die Verherrlichung durch den Vater sichtbar.
Unterstrichen wird die Zugehörigkeit Jesu zu Gott durch die Exklusivität der Gottesbeziehung: kein anderer kann diese Herrlichkeit für sich beanspruchen, sie kommt allein dem Einzigerzeugten zu. Durch den Bezug auf den Vater (παρὰ πατρός) wird der inkarnierte Logos indirekt als Sohn vorgestellt. Dies wird durch die Vergleichspartikel ὡς nicht abgeschwächt, denn diese führt wahrscheinlich keinen Vergleich ein, sie soll eher die Herrlichkeit näher bestimmen: Sie ist eine Doxa, wie sie dem zukommt, der als einziger vom Vater herkommt (M. Theobald). Auf dieses Verständnis weist nicht nur die Bedeutung des Sohnes-Titels im JohEv, zu der eine Abschwächung im Sinne eines Vergleichs nicht passt. Auch die Aufnahme von μονογενής in V.18, nun ohne ὡς, unterstützt diese Deutung.
Angesichts der Nähe zum Vater, der exklusiven und sein Wesen bestimmenden Herkunft von Gott kann dem inkarnierten Logos die Fülle von Gnade und Wahrheit zugesprochen werden. Das biblische Begriffspaar (im Hebräischen chæesed weæmæt, vgl. Ex 34,6 u.ö.) drückt die Zugewendetheit JHWHs zu Israel aus, seine Bundestreue. Dies wird hier universal erweitert: In Jesus begegnet die Zuneigung Gottes zur Welt. »Wahrheit« hat also nichts zu tun mit satzhaft formulierbarer Wahrheit. In der Zusammenstellung mit »Gnade« (χάρις) wird mit diesem Begriff die im Heilswillen begründete Zuwendung Gottes zu den Menschen ausgedrückt – in seinem Sohn (s.a. VV.16f. mit Bezug auf die wirksame Vermittlung des göttlichen Heilswillens).
V.15
15 Johannes gibt Zeugnis für ihn und rief: »Dieser war es, von dem ich sagte: Der nach mir Kommende war vor mir (oder: mir voraus), weil er eher war als ich.«
Der zweite Täufer-Einschub zeigt, wie Johannes Zeugnis abgelegt hat: Er bekennt die zeitliche Priorität Jesu, womit im Kontext des Prologs die Präexistenz wachgerufen wird. Damit ist erneut eine Höherstellung des Täufers abgewehrt, die aus seiner Vorordnung vor Jesus abgeleitet werden könnte.
Diese Linie wird in der folgenden Erzählung aufgenommen. In V.15 sind nämlich zwei Worte des Johannes aus 1,27 und 1,30 miteinander kombiniert. Die Kennzeichnung Jesu als »der nach mir Kommende« ist dem Satz entnommen, in dem der Täufer sich für den niedrigsten Sklavendienst am Kommenden für unwürdig erklärt (1,27). Die zeitliche Priorität Jesu wird wörtlich aus 1,30 zitiert.
Die Zeitstruktur von V.15 ist in doppelter Hinsicht auffällig. In der Rede-Einleitung stehen Präsens und Perfekt nebeneinander: Johannes bezeugt (μαρτυρεῖ) und hat ausgerufen (κέκραγεν). Der resultative Aspekt des Perfekts macht deutlich, dass das Zeugnis des Täufers als bleibendes Zeugnis wahrgenommen werden soll – deshalb auch »er bezeugt« im Präsens. Diese aus der Perspektive der Leser formulierte Zeitstruktur erklärt vielleicht auch das auffällige Imperfekt im Wort des Johannes: »Dieser war der, von dem ich sprach …« Zugleich könnte diese Zeitstufe auch durch die vorangegangene Inkarnationsaussage veranlasst sein. Die Unstimmigkeit, dass Johannes nicht auf das geschichtliche Kommen des Logos zurückblicken kann, nimmt der Evangelist in Kauf. In der Erzählung ist das wieder geradegerückt (1,30 ist im Präsens formuliert: »Dieser ist, über den ich sagte …«).
V.16
16 Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade über Gnade
Der Kreis der Wir-Sprecher ist nun erweitert (»wir alle«) – nicht nur die Augenzeugen, sondern alle Glaubenden sind eingeschlossen.
Die Verbindung zu V.14 zeigt sich außerdem in der Aufnahme von zwei Stichworten. Dass dem Logos »Fülle« (πλήρωμα) zugeschrieben werden kann, greift auf das πλήρης am Ende jenes Verses zurück. Und wie es dort hieß, der Logos sei »voll Gnade (und Wahrheit)«, so wird auch hier die Fülle mit der Gnade verbunden. Nun zeigt sich die soteriologische Bedeutung jener früheren Aussage. Wenn der Logos Träger des göttlichen Heilswillens ist, dann muss sich dies bewahrheiten in der Vermittlung des Heils.
Dabei entspricht der Rede von der Fülle, dass der Strom der Gnade als unerschöpflich gekennzeichnet wird. Dies dürfte der Sinn der Wendung »Gnade über Gnade« (χάρις ἀντὶ χάριτος) sein.
V.17
17 Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus.
Unvermittelt ist die Rede vom Gesetz und von Mose als dem Mittler des Gesetzes. Die Gabe des Gesetzes durch Mose wird als Offenbarungshandeln nicht abgewertet: »Das Gesetz wurde gegeben« – damit ist sicher im Sinne des passivum divinum das Handeln Gottes bezeichnet. Zwischen Mose und Christus besteht kein Gegensatz (s.a. 1,45; 5,45f.). Auch sprachlich fehlt jedes Indiz für eine Opposition. Joh dürfte deshalb primär in positiver Weise auf die Gabe des Gesetzes rekurrieren, um ein offenbarungstheologisches Signal zu setzen. Insofern Mose als Offenbarungsmittler erscheint, ist auch das, was durch Jesus Christus geschehen ist, als göttliche Offenbarung gekennzeichnet.
Zugleich wird durch die Gegenüberstellung im zweiten Versteil gesagt, dass die durch Mose vermittelte Offenbarung nicht das letzte Wort ist. »Gnade und Wahrheit« kamen nicht durch Mose, sondern durch Jesus Christus. Geschickt sind hier Anknüpfung und Weiterführung miteinander verbunden: Die nachfolgend erzählte Geschichte Jesu wird gekennzeichnet als Offenbarung, die die durch Mose ergangene überbietet. Dieses Verhältnis scheint auch durch die unterschiedlichen Verben ausgedrückt zu sein. Das Gesetz wurde gegeben – von Gott. Mose ist also Mittler. Dagegen heißt es, dass Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus kamen (wörtlich »geschahen«: ἐγένετο). Trotz der identischen Präposition »durch« (διά) ist doch ein Unterschied im Blick auf die Unmittelbarkeit der jeweils bezeichneten Wirklichkeit gegeben (s.a. 14,6: »Ich bin die Wahrheit …«).
In V.17 ist also eine letzte Beziehung genannt, durch die die Bedeutung Jesu Christi profiliert wird. Nach derjenigen zu Gott und Schöpfung sowie zu Johannes dem Täufer, nun diejenige zu Mose. Die Bezüge zur atl-jüdischen Tradition (Schöpfung, Weisheit, Sinai-Offenbarung) kommen zu einem gewissen Abschluss. Um diesen Horizont zur Wirkung kommen zu lassen, erscheint der Name »Jesus Christus« erst so spät im Prolog – erst nachdem die Dimensionen benannt sind, um die es in der folgenden Geschichte geht.
Die Klammer zwischen V.17 und Buchschluss wurde bereits erwähnt (s.o. B.1). Wer sie am Ende der Lektüre erkennt, kann die Aussage von 20,30f. noch weiterführen: In diesem Jesus, der der Christus ist und im Glauben Leben vermittelt, begegnet der Logos, göttlichen Wesens, der allein Gott offenbart. Diese Klammer wird verstärkt durch eine zweite, die zur unmittelbar davor stehenden Thomas-Erzählung gebildet wird. Erstmals seit dem Prolog wird im Ausruf »mein Herr und mein Gott!« das Wort θεός in christologischem Sinn gebraucht.
V.18
18 Gott hat niemand jemals gesehen. Ein Einzigerzeugter, Gott (von Art), der an der Brust des Vaters ist, jener hat Kunde gebracht.
Etwas abrupt erscheint die Aussage, niemand habe Gott je gesehen. Man könnte daran denken, die Verhältnisbestimmung zu Mose fortgesetzt zu sehen. Gerade im Zusammenhang der Sinai-Offenbarung wird das Verlangen des Mose, die Herrlichkeit des Herrn zu sehen, abgewiesen: Nur die »Rückseite« Gottes wird Mose gezeigt (Ex 33,18–23). Was selbst dem Mose verwehrt war, kann unter den Menschen allein Christus als der aus der himmlischen Welt Gekommene für sich beanspruchen. Deutet man in diesem Sinn, muss keine Polemik mitschwingen gegen einen Anspruch auf besondere Einblicke in die Welt Gottes, etwa gegen eine gnostische Gottesschau. Leitend wäre vielmehr weiterhin der Gedanke der Überbietung der durch Mose vermittelten Offenbarung, wie es in der nachfolgend erzählten Geschichte entfaltet ist.
Nicht ganz eindeutig ist der Sinn der Prädikationen, mit denen der Offenbarer vorgestellt wird. Er wird als μονογενὴς θεός bezeichnet, und dies wird durch eine Partizipialwendung ergänzt: ὁ ὢν εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρός. In der ersten Wendung ist θεός wohl als Apposition zu verstehen. Dem Einziggezeugten wird also die göttliche Qualität zugesprochen. Damit wird ein Bogen zum Beginn des Prologs geschlagen, wo es ja auch zum Logos hieß, er sei θεός, göttlich (nicht ὁ θεός). Vom »Einziggezeugten« war bereits in V.14 die Rede. Dabei schwingt die exklusive Beziehung zu Gott mit, die diesem μονογενής zuzusprechen ist. Dass darauf der Ton liegt, bestätigt die zweite Bestimmung. Sie wird gewöhnlich wie auch die erste auf den ewigen Logos in der himmlischen Welt gedeutet. Die besondere Nähe wird durch das Sein »im Schoß des Vaters« ausgedrückt – eine Variante des Prologbeginns, wo es vom Logos hieß, dass er »bei Gott« war (πρὸς τὸν θεόν).
Zwar bezeichnet die Präposition in der Formulierung εἰς τὸν κόλπον (εἰς + Akkusativ) normalerweise eine Richtungsangabe, also: »zum Schoß/zum Herzen des Vaters [hingeneigt]«. Da hier eine gewisse Distanz ausgedrückt ist, könnte dies auf den irdischen Jesus und seine Verbindung zu Gott weisen, nicht auf den ewigen Logos in der himmlischen Welt.
Aber: Das Bild weist eher auf eine unmittelbare Nähe (s.a. 13,23). In der Koine ist zudem der Präpositionsgebrauch verwischt, so dass auch eine Ortsangabe möglich, eine Richtungsangabe nicht zwingend ist (»im Schoß«).
Es zeigt sich also, wie überlegt die Textsequenz gestaltet ist: Einerseits wird ein Bogen zum ersten Satz des Prologs geschlagen und die göttliche Herkunft des Logos noch einmal betont; andererseits wird der Prolog beendet und zur eigentlichen Erzählung übergeleitet, indem »das narrative Programm erscheint, das in der Erzählung durchgeführt wird« (J. Zumstein).
C. Anhang: Texte zum traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund von Joh 1 – Zur Schichtung von Joh 1
1. Texte aus der Weisheitstradition
Präexistenz der Weisheit
Der HERR hat mich geschaffen als Anfang seines Weges, als erstes seiner Werke von jeher. 23 Von Ewigkeit her war ich eingesetzt, von Anfang an, vor den Uranfängen der Erde. 24 Als es noch keine Fluten gab, wurde ich geboren, als noch keine Quellen waren, reich an Wasser. 25 Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln war ich geboren, 26 als er noch nicht gemacht die Erde und die Fluren, noch die Gesamtheit der Erdschollen des Festlandes. 27 Als er die Himmel feststellte, war ich dabei. Als er einen Kreis abmaß über der Fläche der Tiefe, 28 als er die Wolken droben befestigte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, 29 als er dem Meer seine Schranke setzte, damit die Wasser seinen Befehl nicht übertraten, als er die Grundfesten der Erde abmaß: 30 da war ich Schoßkind bei ihm und war (seine) Wonne Tag für Tag, spielend vor ihm allezeit.
Ijob 28,12–23
Besondere Nähe der Weisheit zu Gott
Aber die Weisheit, wo kann man sie finden, und wo ist denn die Fundstätte der Einsicht? 13 Kein Mensch erkennt ihren Wert, und im Land der Lebendigen wird sie nicht gefunden. 14 Die Tiefe sagt: In mir ist sie nicht! – und das Meer sagt: Nicht bei mir! 15 Geläutertes Gold kann für sie nicht gegeben und Silber nicht abgewogen werden als Kaufpreis für sie. 16 Sie wird nicht aufgewogen mit Gold aus Ofir, mit kostbarem Schoham-Stein oder Saphir. 17 Gold und Glas sind ihr nicht vergleichbar, noch lässt sie sich eintauschen gegen ein goldenes Gerät. 18 Korallen und Bergkristall brauchen gar nicht erwähnt zu werden; und ein Beutel (voller) Weisheit ist mehr (wert) als (ein Beutel voller) Perlen. 19 Nicht vergleichbar mit ihr ist Topas aus Kusch; mit dem reinsten Gold wird sie nicht aufgewogen. 20 Die Weisheit nun, woher kommt sie, und wo denn ist die Fundstätte der Einsicht? 21 Verhüllt ist sie vor den Augen alles Lebendigen, und vor den Vögeln des Himmels ist sie verborgen. 22 Der Abgrund und der Tod sagen: (Nur) vom Hörensagen haben wir mit unsern Ohren von ihr gehört. 23 Gott ist es, der Einsicht hat in ihren Weg, und er kennt ihre Stätte.
Sir 24,3–22
Göttliche Herkunft der Weisheit, ihr Kommen zu den Menschen bzw. zu Israel
Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor, und wie Nebel umhüllte ich die Erde. 4 Ich wohnte in den Höhen, auf einer Wolkensäule stand mein Thron. 5 Den Kreis des Himmels umschritt ich allein, in der Tiefe des Abgrunds ging ich umher.
6 Über die Fluten des Meeres und über alles Land, über alle Völker und Nationen hatte ich Macht. 7 Bei ihnen allen suchte ich einen Ort der Ruhe, ein Volk, in dessen Land ich wohnen könnte.
8 Da gab der Schöpfer des Alls mir Befehl; er, der mich schuf, wusste für mein Zelt eine Ruhestätte. Er sprach: In Jakob sollst du wohnen, in Israel sollst du deinen Erbbesitz haben. 9 Vor der Zeit, am Anfang, hat er mich erschaffen, und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht. 10 Ich tat vor ihm Dienst im heiligen Zelt und wurde dann auf dem Zion eingesetzt. 11 In der Stadt, die er ebenso liebt wie mich, fand ich Ruhe, Jerusalem wurde mein Machtbereich. 12 Ich fasste Wurzel bei einem ruhmreichen Volk, im Eigentum des Herrn, in seinem Erbbesitz.
19 Kommt zu mir, die ihr mich begehrt, sättigt euch an meinen Früchten! 20 An mich zu denken ist süßer als Honig, mich zu besitzen ist besser als Wabenhonig. [Mein Andenken reicht bis zu den fernsten Generationen.] 21 Wer mich genießt, den hungert noch, wer mich trinkt, den dürstet noch. 22 Wer auf mich hört, wird nicht zuschanden, wer mir dient, fällt nicht in Sünde.
Spr 8,34f.
Weisheit als Quelle des Lebens
Glücklich der Mensch, der auf mich hört, indem er wacht an meinen Türen Tag für Tag, die Pfosten meiner Tore hütet! 35 Denn wer mich findet, hat Leben gefunden, Gefallen erlangt von dem HERRN.
1Hen 42
Die erfolglose Suche der Weisheit nach einer Wohnung unter den Menschen
Die Weisheit fand keinen Platz, wo sie wohnen konnte, da hatte sie eine Wohnung in den Himmeln. Die Weisheit ging aus, um unter den Menschenkindern zu wohnen, und sie fand keine Wohnung; die Weisheit kehrte an ihren Ort zurück und nahm ihren Sitz unter den Engeln. Und die Ungerechtigkeit kam hervor aus ihren Kammern: die sie nicht suchte, fand sie und wohnte unter ihnen, wie der Regen in der Wüste, wie der Tau auf dem durstigen Land.
2. Philo von Alexandrien
Zur Verbindung von Logos und Uranfang: vor der Schöpfung Welt der Ideen
Wir dürfen jedoch weder sagen noch denken, dass die aus den Ideen zusammengesetzte Welt sich an irgendeinem Orte befindet; wie sie entsteht, werden wir erkennen, wenn wir ein Gleichnis aus dem menschlichen Leben betrachten. Wenn eine Stadt durch die große Freigebigkeit eines Königs gegründet wird oder eines Führers, der sich unumschränkte Macht aneignet und zugleich durch Edelsinn ausgezeichnet ist und seinem Glücke noch mehr Schmuck verleihen will, so kommt ein geschulter Baukünstler, betrachtet das Klima und die günstige Lage des Ortes und skizziert zuerst bei sich nahezu sämtliche Teile der zu erbauenden Stadt, Tempel, Gymnasien, Amtsgebäude, Märkte, Häfen, Schiffswerfte, Straßen, die Anlage der Mauern, die Errichtung von Häusern und öffentlichen Gebäuden.
Will nun jemand einfachere Ausdrücke anwenden, so kann er wohl sagen, dass die gedachte Welt (κόσμος νοητός) nichts anderes ist als die Vernunft (λόγος) des bereits welterschaffenden Gottes, denn auch die gedachte Stadt ist ja nichts anderes als der Gedanke des den Bau einer Stadt planenden Baumeisters.
Quod Deus sit immutabilis 31
Zur Verbindung von Logos und Uranfang: der Logos als der ältere Sohn
Doch auch Schöpfer der Zeit ist Gott; denn er ist ihres Vaters Vater – Vater aber der Zeit ist der Kosmos – und dessen Bewegung hat er als ihren Ursprung offenbart, so dass die Zeit im Verhältnis zu Gott die Stellung eines Enkels einnimmt. Dieser Kosmos jedoch ist der jüngere Sohn Gottes, da er sinnlich wahrnehmbar ist; denn den älteren – der aber ist geistig (gemeint ist der Logos) – würdigte er des Erstgeburtsrechts und beschloss, dass er bei ihm bleibe.
De somniis I 229f.
Zur Unterscheidung von ὁ θεός und θεός
Der wahrhafte Gott ist nur einer, die Götter aber, von denen man in uneigentlicher Redeweise spricht, sind mehrere. Deshalb hat auch die heilige Schrift an der vorliegenden Stelle den in Wahrheit existierenden Gott durch (das Wort »Gott« mit) Artikel bezeichnet und gesagt: »Ich bin der Gott«, den in uneigentlichem Sprachgebrauch aber (Gott genannten durch das Wort »Gott«) ohne Artikel mit den Worten: »der von dir gesehen wurde an dem Orte«, nicht des Gottes, sondern nur »Gottes«. Sie (die heilige Schrift) nennt aber Gott (ohne Artikel) hier seinen ältesten Logos, ohne sich abergläubisch mit dem Gebrauch von Wörtern in acht zu nehmen, sondern nur das eine Ziel verfolgend, den Sachverhalt auszudrücken. Denn auch an anderen Stellen, wo sie danach forscht, ob es einen Namen des Seienden gibt, erkannte sie deutlich, dass er keinen Eigennamen hat (2 Mos. 6, 3); wenn aber einer einen solchen nennt, so tut er es in uneigentlicher Bedeutung; denn das Sein kann nicht genannt werden, sondern es ist nur.
De cherubim 125–127
Der Logos als Werkzeug des Schöpfers
Auch darin irrte er (Kain). Inwiefern denn? Weil Gott Urheber ist, nicht Werkzeug, und das, was entsteht, durch Vermittlung eines Werkzeuges zwar, aber durchaus von dem Urheber geschaffen wird. Denn damit etwas entsteht, muss mehreres zusammenkommen, das von wem, das aus wem, das durch wen, das weswegen. Das von wem ist der Urheber, das aus wem ist der Stoff (die Materie), das durch wen ist das Werkzeug, das weswegen ist die Ursache. Z. B., es fragt jemand: damit ein Haus und eine ganze Stadt gebaut werden kann, welche Dinge müssen da zusammenkommen? ein Baumeister, Steine, Holz und Werkzeuge, nicht? Was ist nun ein Baumeister anderes als der Urheber, von dem (der Bau geschaffen wird)? Was sind Steine und Holz anderes als der Stoff, aus dem der Bau entsteht? Was sind die Werkzeuge anderes als die Dinge, durch die (etwas entsteht)? Weswegen aber (wird der Bau ausgeführt), wenn nicht zum Schutze und zur Sicherheit, was eben der Grund ist? Gehe nun von diesen Einzelbauten aus und betrachte die größte Wohnung oder Stadt, diese Welt: erkennen wirst du als ihren Urheber Gott, von dem sie geschaffen ist, als Stoff die vier Elemente, aus denen sie zusammengesetzt wurde, als Werkzeug die Vernunft (logos) Gottes, durch die sie eingerichtet wurde, und als Grund der Schöpfung die Güte des Schöpfers. Das ist das Urteil der Wahrheitsfreunde, die nach wahrer und gesunder Erkenntnis streben. Die aber, die durch Gott etwas erworben zu haben behaupten, halten den Urheber, den Meister, für das Werkzeug, das Werkzeug dagegen, den menschlichen Geist, für den Urheber.
De fuga et inventione 97
Allegorische Auslegung der sechs Asylstädte auf die fünf Kräfte Gottes (schöpferisch, königlich, gnädig, gesetzgeberisch, verbietend) und den Logos als Zufluchtsort der Seele
Die Schrift ermahnt also den, der schnell laufen kann, in atemloser Hast zu dem Höchsten zu eilen, der göttlichen Vernunft (logos), welche die Quelle der Weisheit ist, um von ihrem Nass zu schöpfen und ewiges Leben anstatt des Todes als Preis zu erhalten; denjenigen dagegen, der nicht so schnell ist, sich zu der schöpferischen Kraft zu flüchten, welche Moses Gott nennt, da durch sie das All geschaffen und geordnet wurde; denn wer begreift, dass das All entstanden ist, erwirbt ein großes Gut, die Erkenntnis des Schöpfers, die das Geschöpf sofort zur Liebe zu seinem Erzeuger bewegt.
De somniis I 75
Verbindung von Logos und Lichtmetaphorik
Das ist nun leicht auch auf andere Weise durch eine Überlegung einzusehen, da Gott zunächst Licht ist – »Denn der Herr ist mein Licht und mein Heil« (Ps. 27, 1) wird in den Psalmen gesungen – und nicht nur Licht, sondern jedes anderen Lichtes Vorbild, ja noch mehr: älter und höher als jedes Vorbild, weil es die Bedeutung eines Urbildes hat. Denn das Urbild ist der von ihm ganz erfüllte Logos – »Es sprach«, heißt es nämlich, »Gott: es werde Licht« (1 Mos. 1, 3) –, er selbst aber ist keinem Geschöpfe ähnlich.
3. Joh 1,1–18
| LEGENDE: Gewöhnlich als ursprünglicher Bestandteil des Hymnus gewertet Zugehörigkeit zur Vorlage stark umstritten Meist als redaktionell angesehen |
I Der präexistente Logos und seine Bedeutung
1 Im Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott
und Gott war das Wort.
2 Dieses war Im Anfang bei Gott.
3 Alles wurde durch ihn
und ohne ihn wurde auch nicht eines,
was geworden ist.
4 In ihm war Leben
und das Leben war das Licht der Menschen.
5 Und das Licht scheint in der Finsternis
und die Finsternis hat es nicht ergriffen.
II Der Logos in der Welt
6 Es trat ein Mensch auf, gesandt von Gott, sein Name war Johannes.
7 Dieser kam zum Zeugnis, damit er Zeugnis gebe für das Licht, damit alle durch ihn glauben.
8 Jener war nicht das Licht, sondern damit er Zeugnis gebe für das Licht
9 Es war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wenn es in die Welt kommt.
10 In der Welt war er,
und die Welt wurde durch ihn
und die Welt hat ihn nicht erkannt.
11 In das Eigene kam er
und die Eigenen nahmen ihn nicht auf.
12 Alle aber, die ihn aufnahmen –
er gab ihnen Vollmacht, Kinder Gottes zu werden,
(ihnen), die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus Blut und nicht aus dem Willen des Fleisches und nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
III Der inkarnierte Logos »unter uns«
14 Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns
und wir haben seine Herrlichkeit gesehen,
eine Herrlichkeit, wie sie dem Einzigerzeugten vom Vater (her zukommt),
voll Gnade und Wahrheit.
15 Johannes gibt Zeugnis für ihn und rief: »Dieser war es, von dem ich sagte: Der nach mir Kommende war vor mir (oder: mir voraus), weil er eher war als ich.«
16 Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade über Gnade.
17 Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben,
die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus.
18 Gott hat niemand jemals gesehen.
Ein Einzigerzeugter, Gott (von Art), der an der Brust des Vaters ist,
jener hat Kunde gebracht.
« Die Auferstehungsbotschaft nach 1Kor 15,1–11
Die johanneische Christologie »