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Glaube und Sakrament im Johannesevangelium

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Inhaltsverzeichnis

A. Thematische Perspektiven

B. Ausgangstext: Joh 6,26–59

A. Thematische Perspektiven

Das Thema des Glaubens spielt im JohEv eine wesentlich größere Rolle als bei den Synoptikern. Dies zeigt nicht erst die Betrachtung der theologischen Bedeutung des Glaubens in diesem Evangelium, sondern schon der statistische Befund: 98-mal ist in ihm vom Glauben die Rede, während die drei Synoptiker zusammen nur auf 34 Belege kommen. »Glauben« begegnet im JohEv nur in der Form des Verbs (πιστεύειν), das Substantiv »der Glaube« (πίστις) ist nicht belegt.

1. Der christologische und soteriologische Charakter des Glaubens

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1.1 Anerkennung eines Anspruchs

Die Formulierung »glauben an« (πιστεύειν εἰς) ist bis auf 14,1 (Erinnerung der Jünger an ihren Gottesglauben) immer mit Jesus als Objekt des Glaubens verbunden. Dabei geht es in erster Linie nicht um das Moment des Vertrauens, sondern um die Anerkennung des Heilbringeranspruchs Jesu. Unterschiedliche Strategien sichern diese Semantik ab:

  • Bisweilen finden sich parallel eingesetzte Erläuterungen: Stellt der Erzähler 11,45 fest, dass viele aufgrund der Auferweckung des Lazarus an Jesus glauben, so wird damit das Gebet Jesu an den Vater aufgegriffen, das Jesus spricht, »damit sie glauben, dass du mich gesandt hast« (11,42; vgl. auch 4,39/42; 11,26/27; 14,10/11; 17,20/21).
  • In manchen Fällen macht die Formulierung des angeschlossenen Ausdrucks deutlich, dass es um die Anerkennung eines hoheitlichen Anspruchs geht: glauben an den Namen des einzigen Sohnes Gottes (3,18); glauben an den, den Gott gesandt hat (6,29); glauben an das Licht (12,36), an den Menschensohn (9,35).
  • Der erzählerische Kontext klärt den Sinn. So folgt die Tatsache, dass viele an ihn glaubten (10,42), auf die zuvor genannte Feststellung vieler, das Zeugnis des Johannes über Jesus sei wahr (10,41). Dieses Zeugnis aber ist schon ein vollgültiges Christus-Bekenntnis, das auch titular die Jesus zukommende Würde formuliert (Lamm Gottes 1,29.36; Sohn Gottes 1,34; s.a. 7,31; 7,48/52).

Wenn »glauben« absolut steht oder durch einen Dass-Satz erläutert wird, zeigt sich dieselbe inhaltliche Ausrichtung. Im ersten Fall ergibt sich dies meist aus dem Kontext, z.B. in 1,7, wo der Zusammenhang klärt, dass es um die Anerkennung des Lichtes geht. Wenn Jesus dem Natanael Glauben zuerkennt (1,50), so ist darin das zuvor ausgesprochene Bekenntnis zu Jesus als dem König Israels aufgenommen. Der Glauben ist also auf die Messianität Jesu gerichtet (s.a. 9,35). Allerdings wird eine solche inhaltliche Bestimmung nicht an allen Stellen deutlich, an denen von »glauben« absolut gesprochen wird (s. z.B. 4,53; 6,64; 11,15). Im Fall angeschlossener Dass-Sätze wird das christologische Bekenntnis entweder offen ausgesprochen (6,69; 11,27; 20,31) oder ein wesentlicher Aspekt davon formuliert, etwa die Einheit von Vater und Sohn (14,10.11) oder den Motivkreis der Sendung betreffend (11,42; 16,27.30; 17,8.21).

Ist »glauben« mit einem Dativobjekt verbunden, lässt sich kein spezifischer, einheitlicher Sinn erheben (etwa, wie vorgeschlagen wird: den Worten Jesu glauben; jemandem als Zeugen glauben). Die Wendung ist offen für verschiedene Nuancen.

Dass Joh mit »glauben« die Übernahme des christologischen Bekenntnisses benennt, die Annahme und Anerkennung Jesu als der allein heilsentscheidenden Gestalt, unterscheidet ihn von den Synoptikern. Sie bieten das Motiv des Glaubens vorwiegend im Zusammenhang von Heilungswundern, sehen den Glauben aber auch als Wunder wirkende charismatische Kraft (Mk 11,22f.) und ordnen ihn der Annahme einer Botschaft zu (Mk 1,15; 11,31). Nur an einer Stelle aber sprechen sie vom Glauben an Jesus (Mk 9,42parr.).

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1.2 Glaube und Lebensgewinn

Ein zweites grundlegendes Merkmal des Glaubens ist sein soteriologischer Charakter: Im Glauben ist die Rettung des Menschen begründet, der Glaube führt zum Leben. Dieser Zusammenhang findet sich an vielen Stellen. Der Heilsgewinn kann unterschiedlich ausgedrückt sein:

  • als (ewiges) Leben (3,15; 5,24; 11,25),
  • als Bewahrung vor dem Gericht (3,18) oder vor dem Tod (11,26),
  • bildhaft als »nicht mehr dürsten« (6,35), als »nicht mehr in der Dunkelheit sein« (12,46; s.a. 12,36).

Der soteriologische Charakter des Glaubens ergibt sich aus der Einheit von Geber und Gabe des Heils im JohEv. Indem der Glaube Gemeinschaft mit dem begründet, der das Leben ist, hat er das Leben. Weil der Glaube ganz auf Jesus als den Bringer und Inhalt der Heilsbotschaft ausgerichtet ist, ihn als solchen anerkennt, führt der Glaube zum Leben.

Die grundsätzliche Bedeutung des christologischen und soteriologischen Charakters des Glaubens zeigt sich darin, dass der ursprüngliche Buchschluss beide Momente anführt (20,30f.).

Da der Evangelist hier Auskunft über seine Absicht gibt, kann es sich nicht um nebensächliche Momente seiner Theologie handeln. Er zielt mit seiner Schrift darauf, dass »ihr glaubt, dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist« – die inhaltliche Seite des Glaubens, die dessen christologischen Charakter zusammenfasst. Zugleich wird die soteriologische Bedeutung für die Glaubenden entfaltet: Sie haben durch den Glauben (πιστεύοντες) »Leben in seinem Namen«.

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1.3 Glaube aufgrund der Begegnung mit Jesus

Auf der literarischen Ebene zeigt sich der christologische Charakter des Glaubens nicht nur in seiner inhaltlichen Bestimmung. Joh erzählt die Geschichte Jesu so, dass Glaube in der Begegnung mit Jesus entsteht. Zwar können Menschen hier vorbereitend wirken, aber entscheidend ist das Zusammentreffen und Gespräch mit Jesus selbst.

  • Johannes (der Täufer) weist seine Jünger auf Jesus als das Lamm Gottes hin; aber erst nachdem Andreas bei Jesus war (1,39), spricht er von ihm als dem Messias (1,41).
  • Natanael bleibt auf das Zeugnis des Philippus hin skeptisch (1,45f.), die Begegnung mit Jesus führt ihn dann unverzüglich zum Glauben (1,47–49).
  • Die Einwohner der Stadt Sychar glauben zwar zunächst auf das Wort der Frau hin (4,39); nachdem aber Jesus zwei Tage in der Stadt geblieben war, wird eigens festgestellt, dass ihr Glaube jetzt darauf gründet, Jesus selbst gehört zu haben (4,42).
  • Das Bekenntnis des Blindgeborenen ergeht erst bei der Begegnung mit Jesus nach der Heilung, nachdem Jesus sich als Menschensohn zu erkennen gegeben hat (9,35–38). Hier wird das Glaubensthema von Jesus selbst in das Gespräch eingebracht, ebenso im Dialog mit Martha (11,25–27) und Thomas (20,27–29).

»Immer scheint diese persönliche Begegnung mit Jesus im Ev den letzten Anstoß zu geben« (R. Schnackenburg).

Diese Begegnung ist – durch das Wirken des Parakleten – durch die Zeiten hindurch möglich. Der Paraklet erinnert an die Worte Jesu (14,26), führt in die ganze Wahrheit ein (16,13; s. »Die johanneische Eschatologie«, A. 3.). Auch die Thomas-Geschichte reflektiert die Situation der späteren Glaubenden, die Jesus nicht in irdischer Weise sehen, aber dennoch glauben können.

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2. Akzente des johanneischen Glaubensverständnisses

Joh versieht die Rede vom Glauben dadurch mit zahlreichen anderen Nuancen, dass er andere Begriffe mit dem Verb parallel setzt oder eine sachliche Entsprechung zwischen solchen Begriffen und dem Glauben erkennen lässt. Die personale Bindung an Jesus als Offenbarer kommt unter verschiedenen Aspekten zum Ausdruck.

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2.1 Bildhafte Ausdrücke

Parallel zu »glauben« kann »zu Jesus kommen« stehen (z.B. 6,35; 7,37f.; 5,40; s.a. 6,37.44f. 65). Sachlich dem Glauben entsprechend kann auch von nachfolgen die Rede sein (12,46/ 8,12).

⇒ Dies ergibt sich daraus, dass die mit »glauben« parallelisierten Wendungen mit derselben Verheißung verbunden sind wie das Glauben. In der Hirtenrede (Kap. 10) steht das Nachfolgen in Zusammenhang mit dem Hören der Stimme des Hirten – ebenfalls eine Nuance joh verstandenen Glaubens (s.u. 2.2).

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2.2 Hören und Sehen

Das Sehen Jesu kann den Sinn von »glauben« annehmen (6,40; 12,44.45). »Jesus sehen« meint also nicht nur den Vorgang sinnlicher Wahrnehmung. Die Verheißung ewigen Lebens gilt denen, die den Sohn sehen und an ihn glauben (6,40). In ähnlicher Weise folgt in 12,45 ein Satz, der die Einheit von Vater und Sohn in einer Aussage über das Sehen ausdrückt, auf einen anderen, der denselben Gedanken auf das Glauben hin formuliert (12,44).

Das Hören der Worte/Gebote Jesu kann mit dem Glauben parallelisiert werden (5,24). Im Ganzen kommt dem Gedankenkreis um das Wort Jesu wohl eine größere Bedeutung als dem Motiv des Sehens zu. Denn nicht nur das Hören wird mit dem Glauben parallelisiert, sondern auch das Annehmen dieser Worte (17,8). Dasselbe negativ formuliert: Wer die Worte Jesu nicht annimmt, kommt ins Gericht (12,48) und erfährt so dasselbe wie derjenige, der nicht glaubt (3,18). Auch das Bewahren, Beachten der Worte und Gebote Jesu erhält dieselbe Verheißung wie das Glauben. Wer so handelt, wird den Tod nicht schauen in Ewigkeit (8,51; vgl. z.B. 11,26).

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2.3 Lieben

Die Parallelisierung in 16,27 bindet »glauben« und »lieben« zusammen: »Der Vater liebt euch, weil auch ihr mich geliebt und geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin.« Die Liebe zu Jesus ist daran geknüpft, dass man sich an sein Wort bzw. Gebot hält: »Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten« (14,15; auch 14,21) – das bedeutet: dass man glaubt: Das Bewahren der Gebote oder Worte Jesu erhält ja dieselbe Lebensverheißung wie das Glauben (s. vorigen Abschnitt).

Im Glauben geht es aber nicht nur um die Liebe zu Jesus. Als Gebot Jesu erscheint die gegenseitige Liebe der Jünger (13,34f.; 15,12). Die christologische Vorgabe bleibt dabei gewahrt (»wie ich euch geliebt habe«; Sendung des Sohnes als Ausdruck der Liebe Gottes).

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2.4 Erkennen

»Glauben« und Erkennen (γινώσκειν) können unmittelbar aufeinander folgen (z.B. 6,69; 10,38) oder sich auf dieselben Objekte richten (z.B. 11,42/17,3; 14,11/20). Das Verhältnis beider Begriffe zueinander ist nicht im Sinne einer Stufenfolge zu bestimmen. Sie erhellen sich gegenseitig und bleiben aufeinander bezogen.

Mit »erkennen« ist entsprechend biblischem Sprachgebrauch kein intellektueller Akt bezeichnet, sondern ein Gemeinschaft stiftender und vertiefender Vorgang. Dieses im Glauben selbst enthaltene Moment wird durch die Zusammenstellung mit dem »Erkennen« verstärkt.

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3. Zum eucharistischen Abschnitt in Joh 6

Die Erzählung vom letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern greift die Abendmahlstradition nicht auf. Jesus hält ein Abschiedsmahl im Wissen um seinen baldigen Hinübergang zum Vater. Brot- und Becherhandlung wie bei den Synoptikern sind in diesem Zusammenhang aber nicht bezeugt.

Allein in Joh 6,51c–58 findet sich ein eucharistischer Bezug, in eigener johanneischer Form: nicht von Leib (σῶμα) und Blut ist dort die Rede, sondern von Fleisch (σάρξ) und Blut. Dieser Abschnitt wird vielfach als späterer redaktioneller Zusatz gewertet, weil er sich nicht harmonisch in die Brotrede einfügt:

  • Hieß es zuvor, Jesus sei das Brot, so wird in 6,51c ohne jede nähere Erläuterung gesagt, er werde dieses Brot geben.
  • Die Identifizierung des Brotes mit dem Fleisch in 6,51c kommt völlig unvermittelt. Zwar ist zuvor vom Essen des Lebensbrotes die Rede (6,51b), aber dies ist im Rahmen der Brotrede als Metapher für »glauben« zu deuten (dieselbe Verheißung in 6,47 und 6,51b; s.a. unten B. 3. VV.47–51b). Das Essen des Lebensbrotes liegt auf der Linie des Ich-bin-Wortes in 6,35, nach dem Jesus (als Brot des Lebens) in seiner Person das Heil ist; ein eucharistischer Anklang findet sich nicht.
  • Die Rede vom Blut des Menschensohnes erscheint im Ablauf der Brotrede völlig unvermittelt.
  • Dass nun der Lebensgewinn nicht an den Glauben, sondern an die Teilhabe an Fleisch und Blut Jesu geknüpft ist, stellt eine Spannung zum Kontext dar (und ist auch im Blick auf das JohEv ein gewisser Fremdkörper).
  • Die Formel vom gegenseitigen Ineinandersein kommt an dieser Stelle überraschend und eigentlich zu früh: Der passende Ort ist die Abschiedsrede, die das Verhältnis der Jünger/der Glaubenden zu Jesus nach dessen Weggang bedenkt (ab 14,20).

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B. Ausgangstext: Joh 6,26–59

In der Rede, die Jesus in der Synagoge von Kapharnaum hält (s. 6,59), ist das Thema des Glaubens eng mit der Brot-Metaphorik verbunden. Dies kann abschließend noch einmal deutlich machen, wie die verschiedenen Aspekte der joh Theologie, die eine thematische Darstellung jeweils für sich entfaltet, innerlich miteinander zusammenhängen. In Joh 6 zeigt sich dies nicht nur in der Verbindung von Glauben und Ich-bin-Wort vom Brot des Lebens. Außerdem ist über die Speisungsgeschichte auch die Zeichen-Christologie eingearbeitet; und was zur joh Eschatologie zu sagen war, findet in der Brotrede ebenfalls deutlichen Widerhall.

1. Kontext: Suche nach Jesus

Die Brotrede in Joh 6,26–59 ist eng mit der Erzählung von der Brotvermehrung in 6,1–15 verbunden. Dies geschieht über das Motiv der Menge (6,5; 6,22) – nicht nur aus terminologischen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen. Und dies hängt mit einer Besonderheit der joh Brotvermehrungsgeschichte zusammen. Anders als in den synoptischen Varianten bemerken die Mahlteilnehmer das Wunder (6,14). Da Jesus diese Reaktion bemerkt und darin das Ansinnen erkennt, ihn zum König zu machen, kommt es zur Trennung zwischen Jesus und der Menge (6,15). Jesus zieht sich zurück, in der folgenden Nacht spielt sich der Seewandel ab, durch den die Trennung verstärkt wird.

Am nächsten Morgen liegt der See Gennesaret zwischen Volksmenge und Jesus. Dies ist genau der Punkt, an dem der Begriff der Menge (ὄχλος) wieder aufgegriffen wird (6,22). Trotz Unklarheiten in erzählerischen Details ist die Funktion der Passage zwischen Brotvermehrung und Brotrede deutlich: Es sollen nicht nur Volksmenge und Jesus wieder zusammengebracht werden; darüber hinaus wird die Volksmenge dadurch charakterisiert, dass sie Jesus sucht und von sich aus die Entfernung überwindet, die zwischen ihr und Jesus liegt (6,24). Diese Gestaltung dürfte in innerem Zusammenhang stehen mit der folgenden Offenbarung Jesu als Brot des Lebens.

Dass die Suche nicht zum Ziel führt, zeichnet sich schon während der Rede ab; dies wird nach deren Ende noch gesteigert, indem Jesu Worte selbst im Jüngerkreis von einigen als unerträglich markiert werden – mit der Trennung von Jesus als Konsequenz (6,60–66).

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2. Aufbau

Die Brotrede ist eingebettet in einen kommunikativen Rahmen, der Hinweise auf die Struktur des Abschnitts geben kann, aber nicht schematisch auszuwerten ist, so dass die Erzählerstimme per se gliedernde Funktion haben könnte.

Die Rede beginnt mit einem Kommentar zur Suche nach Jesus, auf einen Glaubensaufruf zulaufend (VV.26–29).

Mit der Reaktion der Menge wird ein Absatz markiert, da nun das Manna- bzw. Brot-Thema eingebracht wird, das mit der Selbstoffenbarung Jesu als Brot des Lebens einen ersten Höhepunkt erreicht (V.35).

Davon heben sich VV.36–40 ab, da nun die negative Reaktion zur Sprache kommt (noch ehe die Menge die Worte Jesu kommentiert hat) und vor diesem Hintergrund die Zuverlässigkeit der Lebenszusage betont wird, die dem Glauben gegeben ist.

Erst in VV.41f. wird von einer Reaktion der Menge auf das Brotwort erzählt, ein »Murren«, das Jesus mit dem Hinweis auf die Gottesbeziehung beantwortet, die den Glaubenden geschenkt ist (VV.41–46).

Davon setzt sich (trotz durchlaufender Jesusrede) der Abschnitt VV.47–51b formal durch das Amen-Wort in V.47 und inhaltlich durch das Aufgreifen des Brotwortes ab.

Mit V.51c (»Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt«) beginnt der eucharistische Abschnitt, erkennbar am Stichwort »Fleisch«, das hier erstmals begegnet und das Nachfolgende prägt. Die Reaktion der Hörer in V.52 setzt demgegenüber keinen Einschnitt. V.58 dürfte (trotz der Aussage »dieser ist…«) noch zu Rede gehören.

Eindeutig ist V.59 als abschließender Erzählerkommentar gesetzt, der das Geschehen in der Synagoge von Kapharnaum lokalisiert.

In der Übersicht ergibt sich folgender Aufbau:

VV.26–29:      Erster Aufruf zum Glauben
VV.30–35:      Jesu Antwort auf die Zeichenforderung: »Ich bin das Brot des Lebens«
VV.36–40:      Die zuverlässige Lebenszusage für den Glauben angesichts des Unglaubens
VV.41–46:      Gegenüberstellung von Murren und gewährter Gottesbeziehung im Glauben
VV.47–51b:    Das Essen des Lebensbrotes als Lebensgewinn
VV.51c–58:    Eucharistischer Abschnitt: Fleisch und Blut des Menschensohnes
V.59:             Abschließende Bemerkung des Erzählers

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3. Auslegung

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VV.26–29

26 Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr sucht mich, nicht weil ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und gesättigt worden seid. 27 Wirkt nicht (für) die Speise, die vergeht, sondern (für) die Speise, die da bleibt ins ewige Leben, die der Menschensohn euch geben wird! Denn diesen hat der Vater, Gott, beglaubigt. 28 Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir tun, damit wir die Werke Gottes wirken? 29 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Dies ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.

V.26  Jesus greift nach dem Zusammentreffen die Suche der Menge auf, in einer Antwort, die sich der Frage in 6,25 (»wann bist du hierhergekommen?«) zumindest vordergründig verweigert. Die Frage bleibt der Verwunderung über die Trennung verhaftet, formuliert aber nicht den Grund der Suche nach Jesus. Es bleibt Jesus vorbehalten, diesen Grund auszusprechen und damit die Oberflächlichkeit der Frage zu durchstoßen. Die Antwort Jesu dürfte der Schlüsselsatz für die joh Zeichen-Christologie sein (s. »Die johanneische Christologie«, A. 5.). Im Zusammenhang der Brotrede wird hier eine Kritik an der Suche laut, die, wenn man den Ausgang der Szene kennt, vorausweist auf das Scheitern der Kommunikation zwischen Jesus und der Menge.

V.27 Zunächst scheint die Situation noch offen. Jesus fordert die Hörer auf, hinter das Geschehen der Sättigung zu blicken. Mit der Formulierung des Verses verbinden sich einige Fragen, die daran zweifeln lassen können, dass der Vers ursprünglich an dieser Stelle stand (etwas schwieriger Anschluss an V.26; begriffliche Verbindungen zum sekundären eucharistischen Abschnitt). Im jetzigen Zusammenhang gelesen, geht es wohl wesentlich darum, auf eine hintergründige Bedeutung von »Speise« und »Sättigung« hinzuweisen.

VV.28f.  Und so wird noch im selben Abschnitt direkt genannt, was sich mit der Brotmetaphorik verbindet: der Aufruf zum Glauben (V.29).

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VV.30–35 

30 Da sprachen sie zu ihm: Was tust du nun für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? 31 Unsere Väter aßen das Manna in der Wüste, wie geschrieben steht: »Brot aus dem Himmel gab er ihnen zu essen.« 32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel. 33 Denn das Brot Gottes ist der, welcher aus dem Himmel herabkommt und der Welt das Leben gibt. 34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit dieses Brot! 35 Jesus sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens: Wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr dürsten.

VV.30f.  Die Menge verlangt für ein Befolgen des Aufrufs nach einem beglaubigenden Zeichen. Eine erzählerische Ironie liegt darin, dass diese Forderung von denen erhoben wird, die Zeugen der Brotvermehrung waren und die angesichts dieses Geschehens auf die Suche nach Jesus gegangen sind. Jetzt verweisen sie auf das Manna in der Wüste und stellen damit selbst (im Blick auf die Glaubensgeschichte Israels) den Kontext wunderbarer Speisung her, der in der Gegenwart ihre Suche nach Jesus ausgelöst hat. Man kann sagen: Sobald die Hörer mit der Aufforderung zum Glauben an Jesus konfrontiert werden, vergessen sie, was Jesus bereits gewirkt hat; und sie bestätigen das Wort Jesu, dass sie die Brotvermehrung nicht als Zeichen wahrgenommen haben.

VV.32f.  Die Antwort Jesu wechselt die Perspektive: von den Geschehnissen des Exodus zur Gegenwart. Man erwartet nach der Aussage: »nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben« als Fortsetzung: »sondern mein Vater«; tatsächlich wird der Vater als Geber des wahrhaftigen Brotes aus dem Himmel in der Gegenwart bezeichnet: »… sondern mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel«. Damit wird das Manna, einzig in der ntl Überlieferung, grundsätzlich abgewertet. Es tritt zu dem jetzt von Gott gegebene Brot in Gegensatz: Das Manna ist gar nicht das Himmelsbrot. Jetzt erst wird »Brot Gottes« gegeben, das als lebensspendend bezeichnet wird.

Ein zweiter Wechsel vollzieht sich in V.33: vom Brot als Objekt zum Brot als Subjekt. Das Brot wird nicht mehr als dargereichte Größe benannt, es wird selbst näher bestimmt. Man kann hier schon den Wechsel zur Person angedeutet sehen, der dann in 6,35 erfolgt; die Aussage bleibt im griechischen Text allerdings mehrdeutig: »Das Brot Gottes ist der aus dem Himmel Herabsteigende« oder »… das aus dem Himmel Herabsteigende« (im Griechischen ist das Genus des Wortes für Brot [ἄρτος] Maskulinum). Leser des JohEv, die mit dem Verb καταβαίνειν vertraut sind (1,51; 3,13–15), können schon vorwegnehmen, dass es um eine Prädikation Jesu geht. Die Hörer in der Szene sehen das Brot noch als Objekt, als erstrebenswerte Gabe.

V.34f. Entsprechend bittet die Menge um das Brot. Dies lässt sich hintergründig auslegen als Ausdruck der Tatsache, dass in Jesus die Sehnsucht nach Leben erfüllt wird, die von den Hörern ausgesprochen wird. Dies liegt auf der Linie der Suche nach Jesus, die sich an die Speisungsgeschichte angeschlossen hat. In Jesus kommt diese Suche zu ihrem Ziel, auch wenn dies von der Menge nicht erkannt wird.

Und so kann sich Jesus anschließend an jene Bitte offenbaren: »Ich bin das Brot des Lebens.« Damit ist die Wende von der Sache zur Person ausdrücklich vollzogen. Die Bedeutung dieses Brotes für die Menschen wird im Nachsatz entfaltet. Entsprechend der personalen Bestimmung des Lebensbrotes wird nicht das Essen des Brotes erwähnt, sondern das Kommen zu Jesus und der Glaube an ihn. Beide Ausdrücke meinen dasselbe, der zweite verdeutlicht den ersten. Es kann ja nicht differenziert werden zwischen der Bedeutung des Nicht-mehr-Hungerns und des Nicht-mehr-Dürstens. Beides meint »die Überwindung der menschlichen Todverfallenheit«, entsprechend johanneischer Theologie ist diese Überwindung »im Glauben schon als gegenwärtige Realität« gegeben (J. Blank).

Der Nachsatz ist gut in den szenischen Kontext eingepasst. Jesus spricht ihn zu denen, die sich auf die Suche nach ihm gemacht haben, die »zu ihm gekommen sind«. Dass man in diesem Fall nicht hungert, hat die wunderbare Speisung gezeigt. Jetzt käme es für die Hörer in der Szene nur darauf an, das Zeichenhafte dieses Vorgangs zu erkennen und zu sehen, dass er eigentlich »glauben« bedeutet. Dass sie dies verweigern, wird angesichts der erzählerischen Einbindung umso unerklärlicher. Diese Einbindung bedeutet andererseits nicht, dass der Spruch auf die beschriebene Szene beschränkt bliebe. Der Nachsatz ist (wie bei den Ich-bin-Worten allgemein) ganz grundsätzlich gehalten (»wer zu mir kommt …«) und öffnet sich damit für die Leser des Werkes.

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VV.36–40

36 Aber ich habe euch gesagt, dass ihr mich auch gesehen habt und nicht glaubt. 37 Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen; 38 denn ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht dass ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. 39 Dies aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich von allem, was er mir gegeben hat, nichts verliere, sondern es auferwecke am letzten Tag. 40 Denn dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.

V.36  Nach der Selbstoffenbarung Jesu als das Lebensbrot wird die Linie fort- und ausgeführt, in der sich das Scheitern der Beziehung zwischen Jesus und der Volksmenge schon angedeutet hat. Es passt zur hoheitlichen Christologie des JohEv, die sich gerade im Brotwort ausgesprochen hat, dass Jesus selbst dieses Scheitern bekundet. Das Werk Gottes, nach dem die Hörer gefragt hatten (V.28), nämlich der Glaube (V.29), wird von ihnen nicht getan.

Man kann fragen: Wann hat Jesus eigentlich gesagt, »dass ihr mich gesehen habt und nicht glaubt«? Es ist möglich einen Bezug zu 6,26 herzustellen: Es erscheint das Stichwort »sehen«, und die dort umschriebene Handlung ist sachlich als Unglaube zu verstehen. Die Brotvermehrung nicht als Zeichen wahrgenommen zu haben heißt ja genau dies: den Schritt zum Glauben an den Wundertäter nicht vollzogen zu haben. Im Kontext von Kap. 6 ist die Aussage Jesu zugleich prophetisch, denn tatsächlich werden die Gesprächspartner den Anspruch Jesu ablehnen (V.41; s.a. VV.52.60–66).

VV.37–40  Die Brotmetaphorik gerät nun etwas aus dem Blick, allein über das Motiv vom Herabsteigen (V.38) ist eine Verbindung gegeben. Im Brennpunkt steht jetzt die Bewahrung der Glaubenden zum ewigen Leben. Die Heilsbedeutung des Glaubens wird nun aber nicht mehr im Bildfeld des Brotwortes entfaltet. Vielmehr heißt es: Wer zu Jesus kommt, wird nicht hinausgeworfen. Die im Glauben bestehende Gemeinschaft ist also verlässlich.

In dieser Passage werden grundsätzliche christologische Aussagen zur Sendung des Sohnes aus Kap. 3 aufgegriffen (3,16). Dass Jesus ausdrücklich davon spricht, vom Himmel herabgestiegen zu sein, stellt eine Klammer nicht nur zum voranstehenden Brotwort, sondern auch zum Menschensohnwort in 3,13 her. Dass betont wird, Jesus tue nicht seinen Willen, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat (V.38), steht mit der Vollmachtsrede in Kap. 5 in innerer Verbindung. Die Christologie des Brotwortes wird also an andere christologische Aussageweisen gebunden, und so verdeutlicht Joh, auf wen sich der Glaube richtet, dem das Leben zugesagt ist.

Allerdings klingt nun ein Gedanke an, der an späterer Stelle der Rede noch einmal aufgegriffen und deutlicher gefasst wird. Offensichtlich ist es nicht allein des Menschen Sache, ob er zum Glauben kommt. Zweimal ist davon die Rede, dass der Glaube mit dem Geben des Vaters zusammenhängt (VV.37.39; s. dazu unten zu V.44 / zur »Auferweckung am letzten Tag«; s. »Die johanneische Eschatologie«, A. 2.3).

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VV.41–46

41 Da murrten die Juden über ihn, weil er sagte: Ich bin das Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist; 42 und sie sprachen: Ist dieser nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie sagt denn dieser: Ich bin aus dem Himmel herabgekommen? 43 Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: Murrt nicht untereinander! 44 Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. 45 Es steht in den Propheten geschrieben: »Und sie werden alle von Gott gelehrt sein.« Jeder, der von dem Vater gehört und gelernt hat, kommt zu mir. 46 Nicht dass jemand den Vater gesehen hat, außer dem, der von Gott ist, dieser hat den Vater gesehen.

VV.41f.  In V.41 bestätigt sich, was Jesus über den Unglauben seiner Zuhörer gesagt hat. Sie nehmen Anstoß an seiner Selbstbezeichnung als das vom Himmel herabgestiegene Brot. Sie sehen einen Widerspruch zu der ihnen bekannten irdischen Herkunft Jesu. Joh bezeugt das Theologoumenon von der Geistzeugung Jesu nicht. Setzt er es bei seinen Adressaten voraus? Da dieses christologische Motiv in der urchristlichen Tradition nicht sehr verbreitet ist, scheint eine gewisse Zurückhaltung angebracht (s.a. die nicht relativierte Aussage des Philippus in 1,45: »Jesus, Sohn Josefs, von Nazaret«). Der Evangelist kann also von der irdischen Vaterschaft Josefs ausgegangen sein, entscheidend ist aber in seinen Augen, Jesus nicht nach dieser irdischen Herkunft zu beurteilen. Wer Josef für den Vater Jesu hält und deshalb dessen Anspruch ablehnt, hat nicht verstanden, wessen Sohn Jesus in Wirklichkeit ist.

Der Protest ist so formuliert, dass die Tradition der Wüstenwanderung präsent bleibt. Das »Murren« (γογγύζειν) kennzeichnet wiederholt die Widerspenstigkeit Israels gegen die Führung durch Gott (z.B. Ex 16; 17,3; Num 11,1; 14,27; 17,20). In Ex 16 folgt daraus die Gabe des Manna, was aber das weitere Murren des Volkes gegen Gott nicht verhindert. So legt Joh eine Parallele nahe zwischen der Reaktion der Juden (so die Bezeichnung ab V.41) auf Jesu Selbstoffenbarung und dem widerspenstigen Volk zur Zeit der Wüstenwanderung. Diejeni­gen, die darauf verweisen, dass ihre Väter das Manna in der Wüste gegessen haben, empören sich wie ihre Väter gegen Gott und seine Führung.

VV.43f.  Die Antwort Jesu auf den Einwand verlässt wiederum den Kontext der Brotmetaphorik. Dem Unglauben wird wie im vorherigen Abschnitt durch eine Besinnung auf den Glauben begegnet, jetzt vor allem akzentuiert auf die Gründung des Glaubens in Gott, mit Gedanken, die an eine Vorherbestimmung zum Glauben anklingen. Wie verhält sich dies zum Aufruf zur Glaubensentscheidung? Stets begegnet man den Aussagen über den gnadenhaften Charakter des Glaubens im Zusammenhang der Bestreitung des Anspruchs Jesu. Hier ist das Murren der Juden gegen Jesu Selbstbezeichnung als Brot des Lebens (6,41f.) zu nennen (s.a. 6,64f.). In der Hirtenrede erscheint das Bild der von Gott auserwählten Schar um den Hirten Jesus (10,29) im Zusammenhang des Streits. Die Frage, ob Jesus der Christus sei (10,24) ist an dieser Stelle schon Ausdruck des Unglaubens, wie es denn auch Jesus gleich feststellt (10,25).

Dies bedeutet: Wenn Joh das Glauben als Gnade vorstellt, dann bewegt ihn weniger die Frage, wie es zum Glauben kommen könne, als vielmehr die Frage: Wie kommt es zum Unglauben? Diese Verweigerung dem Anspruch des göttlichen Offenbarers gegenüber ist aus dem Handeln bzw. Nichthandeln Gottes selbst zu erklären. Denen, die nicht glauben, ist es nicht von oben gegeben. Dies hebt das Moment der Entscheidung auf menschlicher Seite aber nicht auf. Dieselbe Dialektik hat sich auch bei den Aussagen zum Sinn der Sendung der Jesu gezeigt: Göttliches Handeln und menschliche Schuld können ineinander verwoben sein, ohne dass ein Ausgleich geschaffen wird (s. »Die johanneische Christologie«, B. 3. VV.18–21).

V.45  Die besondere Beziehung der Glaubenden zu Gott wird in V.45 durch ein Schriftzitat unterstrichen. Die prophetische Verheißung (Jes 54,14), alle würden von Gott gelehrt sein, liefert den Schlüssel für die gegenwärtig verlangte Glaubensentscheidung, in der sich das Wirken Gottes äußert. Da allerdings die umfassende Aussage (»alle«) nicht recht passt – szenisch wird ja gerade der Unglaube dargestellt –, fügt Joh eine Erläuterung an, wie das πάντες (»alle«) zu verstehen ist: Es geht nicht, wie in der Jes-Stelle, um alle im Gottesvolk, sondern um diejenigen, die zu Jesus kommen. Deshalb greift die Formulierung πᾶς ὁ ἀκούσας (»jeder, der gehört hat«) auf das πάντες zurück (im Griechischen [πᾶς – πάντες] ist der Bezug deutlicher als im Deutschen [»jeder« – »alle«]). Im Kommen zu Jesus, also im Glauben (s. V.35), erweist sich, ob einer beim Vater gehört und gelernt hat. Dies ergibt sich harmonisch aus der Christologie der Einheit zwischen Vater und Sohn.

V.46  Joh bringt dennoch eine christologische Sicherung ein, die eine unvermittelte Nähe der Glaubenden zu Gott ausschließt. Die Glaubenden können durchaus »beim Vater hören« – wenn sie das Wort Jesu hören und annehmen. Sie können ihn aber nicht sehen. Damit wird deutlich auf den Schluss-Satz des Prologs angespielt, der ebenfalls ein Sehen Gottes für alle ausschloss – außer für den, der von ihm aus der himmlischen Welt Kunde gebracht hat (1,18). Für den Gedankengang ergibt sich damit: Dass der Vater wirkt, wenn es zum Glauben kommt (V.44), begründet nicht, dass es am Sohn vorbei zum Glauben kommen könnte.

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VV.47–51b

47 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, hat ewiges Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben das Manna in der Wüste gegessen und sind gestorben. 50 Dies aber ist das Brot, das aus dem Himmel herabkommt, damit man davon esse und nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, wird er leben in Ewigkeit.

In VV.47–51b wird das Brotwort aus 6,35 noch einmal aufgenommen, aber auch etwas abgewandelt. Zunächst sagt ein Amen-Wort im Klartext, worauf das Brotwort zielt: Glaube an Jesus vermittelt ewiges Leben (V.47). Und dies wird dann im Rückgriff auf das Brotwort noch einmal bildlich entfaltet. Die Parallelität zu 6,32–35 ist beachtlich (C. Dietzfelbinger).

  • Das Brotwort wird wörtlich zitiert (ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος τῆς ζωῆς).
  • Der Gegensatz zum Manna wird aufgenommen.
  • Der Zusammenhang mit der Lebensvermittlung (s. 6,33fin) wird verdeutlicht: Die Väter haben das Manna gegessen und sind gestorben; wer vom wahren Lebensbrot ist, stirbt nicht (6,49f.).

Damit hat sich in der Metaphorik allerdings eine Verschiebung ergeben. Erstmals ist jetzt davon die Rede, dass das Lebensbrot gegessen werde. Dies bereitet nicht den eucharistischen Sinn vor, von dem der nächste Abschnitt handelt (s. zum sekundären Charakter dieses Abschnitts von VV.51c–58 oben A. 3.). Der Wechsel in der Metaphorik ist bedingt durch die Art, wie das Lebensbrot hier mit dem Manna parallelisiert wird. Anders als in 6,30–35 ist vom Essen des Manna als Vorgangsbeschreibung die Rede: Die Väter aßen und sind gestorben (6,49). Und entsprechend heißt es dann als Gegensatz: Wer vom Lebensbrot Jesus isst, stirbt nicht (6,50). Da in 6,30–35 die personale Wendung auf Jesus hin im Vordergrund steht, entfaltet der Nachsatz die Bedeutung des Lebensbrotes nicht mithilfe metaphorisch verstandenen Essens, sondern mit Formulierungen, in denen die personale Bindung an Jesus zum Ausdruck kommt (»zu mir kommen«, »an mich glauben«). Aufgrund des dargestellten anderen Kontextes wird in 6,50f. »essen« zur Metapher für »glauben«.

Diese Auslegung bestätigt ein Blick auf die Verheißung, die mit dem Essen des Lebensbrotes und dem Glauben verbunden ist. »Wer glaubt, hat ewiges Leben« (6,47); wer das Lebensbrot isst, »wird leben in Ewigkeit« (6,51b). So bleibt diese Aussage noch ganz auf der Linie des Ich-bin-Wortes in 6,35, in dem Jesus in seiner Person als Heil und Leben präsentiert wird.

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VV.51c–59

51c Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt. 52 Die Juden stritten nun untereinander und sagten: Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben? 53 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch selbst. 54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag; 55 denn mein Fleisch ist wahre Speise, und mein Blut ist wahrer Trank. 56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm. 57 Wie der lebendige Vater mich gesandt hat, und ich lebe um des Vaters willen, so auch, wer mich isst, der wird auch leben um meinetwillen. 58 Dies ist das Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist. Nicht wie die Väter aßen und starben; wer dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit. 59 Dies sprach er, als er in der Synagoge zu Kapernaum lehrte.

VV.51c  Der Versteil dient der Verzahnung des eucharistischen Abschnitts mit der Brotrede, indem das Brot mit dem Fleisch Jesu gleichgesetzt wird. Auffällig ist die Zuordnung zur σάρξ (Fleisch) statt zum σῶμα (Leib). Dies zieht den Bezug auf die Eucharistie aber nicht in Zweifel. – Zum sekundären Charakter dieses Abschnitts s.o. A. 3.

V.52  Parallel zum Murren in V.41 ist nun die Rede vom Streiten der Juden. Dabei werden auf Seiten der Hörer Jesu keine unterschiedlichen Haltungen erkennbar, sie empören sich vielmehr einhellig über das Gesagte und bringen diesen Protest vor, indem sie ihn sich gegenseitig zusprechen (s.a. V.43: »murrt nicht untereinander«). Trotz der Frageform kann von einem Protest gesprochen werden, denn es wird keine wirkliche Frage gestellt. Es handelt sich um ein typisch joh Missverständnis: »Die Juden« meinen, Jesus wolle im wörtlichen Sinn sein Fleisch geben, sie erkennen nicht die eucharistische Dimension der Aussage.

In seiner Antwort nimmt Jesus nicht die Frage auf, wie solche Gabe des Fleisches denn möglich sei. Jedoch enthält sein Amen-Wort in V.53 eine Erweiterung, die es als Anspielung auf die Eucharistie deutlich werden lässt, wie der Bezug auf das Blut zeigt. Indirekt erfolgt also doch eine Antwort: Jesus kann sein Fleisch geben, weil die im Herrenmahl gegebene Speise gemeint ist.

Überraschend ist die Ausschließlichkeit, mit der das Leben nun an das Herrenmahl gebunden ist, nicht nur weil dieser Gedanke in solcher Schärfe sonst im Neuen Testament nicht belegt ist: Bislang war in der Brotrede der Glaube entscheidend für den Lebensgewinn. Nichts hat diese Wendung vorbereitet. Meist wird angenommen, dass der Evangelist bzw. die spätere Redaktion sich in direkter innerchristlicher Frontstellung befindet: gegen Positionen, die die Eucharistie relativierten. Anders lässt sich jene Wendung wohl nicht erklären, da auch an späterer Stelle im Evangelium nicht mehr auf das Herrenmahl eingegangen wird – auch nicht im Rahmen des Abschiedsmahles. Aus den theologischen Präferenzen des Evangelisten allein lässt sich die massive Betonung der Notwendigkeit des Eucharistie-Empfangs also nicht einsichtig machen.

Mit dem Bezug auf die Eucharistie ist zugleich der Tod Jesu eingebracht. Auch wenn es unterschiedliche Formen und Sinngebungen der urchristlichen Herrenmahlfeier gegeben haben sollte (s. »Herrenmahl bei Paulus«, A. 1.3), so lässt sich die joh Ausdrucksweise in diesem Abschnitt nur auf jenen Typ beziehen, der sich vom letzten Mahl Jesu herleitete und die Hingabe Jesu in seinem Tod gegenwärtig setzte. Bestärkt wird diese Interpretation durch den Gebrauch des Menschensohn-Titels. Er ist im JohEv besonders mit der »Erhöhung« Jesu verbunden – und damit auch mit dem Tod am Kreuz.

Eigentlich ist mit V.53 schon alles gesagt. Was folgt, sind Variationen und Entfaltungen des eucharistischen Themas. In einem Fall wird die Eucharistie als Mahl profiliert (V.55), ansonsten geht es darum, die Eucharistie mit verschiedenen Ausdrucksformen joh Christologie in Verbindung zu bringen. Dreimal wird ausgeführt, welche Verheißung dem gilt, der das Fleisch Jesu isst und sein Blut trinkt (beim dritten Mal ist die Parallelität aufgegeben und allein vom Essen die Rede).

VV.54–57  Zunächst geht es in V.54 um die Vermittlung des ewigen Lebens. Was in V.40 dem verheißen wurde, der »den Sohn sieht und an ihn glaubt«, gilt nun demjenigen, der »mein Fleisch isst und mein Blut trinkt«: »Er hat ewiges Leben und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag«. Damit ist sicher nicht daran gedacht, das zuvor Gesagte zu negieren. Offensichtlich soll die Teilhabe am eucharistischen Leib und Blut Christi zum Glauben als der Voraussetzung für die Gabe des ewigen Lebens hinzutreten. Vor allem die in V.40 und V.54 gleiche Abfolge von gegenwärtiger (ἔχει ζωὴν αἰώνιον) und zukünftiger (ἀναστήσω αὐτὸν τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ) Dimension weist recht deutlich auf diese Intention.

In V.56 wird der Empfang des Herrenmahls mit dem gegenseitigen Ineinandersein verbunden. Dies ist anders als im zuvor behandelten Fall kontextuell nicht vorbereitet. Diese Ausdrucksweise des gegenseitigen Verhältnisses von Jesus und den Glaubenden (und dem Vater) wird erst an späterer Stelle entfaltet – in den Abschiedsreden. Dass es also hier verfrüht kommt, verstärkt den Eindruck des sekundären Charakters unseres Abschnitts (s.o. A.3). Wie in der öffentlichen Rede der Bezug auf die Eucharistie nicht recht passt, so auch nicht die Immanenzformel, die kaum ursprünglich mit der Eucharistie verbunden ist. Es scheint vielmehr so zu sein, dass eine bestehende Aussageweise joh Christologie (das durch Christus vermittelte gegenseitige Ineinandersein von Sohn, Glaubenden und Vater) auch an die Eucharistie gekoppelt werden sollte.

Zum Dritten wird in V.57 die Eucharistie mit der Sendung Jesu durch den Vater verbunden. Im gesandten Sohn ist das Leben Gottes zugänglich. Er lebt durch den Vater und kann dieses Leben vermitteln (s.a. 5,24–26). Diese Lebensvermittlung, in der Vollmachtsrede an den Glauben gebunden, wird hier eucharistisch gedeutet.

Das Futur ζήσει (»wird leben«) kann als logisches Futur verstanden werden: Vom Standpunkt des Sprechers aus wird ein künftiges Geschehen in den Blick genommen. Auf der Ebene der Erzählung liegt das Essen in der Zukunft, da es ja um Fleisch und Blut des erhöhten Menschensohnes geht. Dann wäre daran gedacht, dass die Lebensvermittlung unmittelbar mit dem Empfang der Eucharistie verbunden ist. Dies ließe sich grundsätzlich auch in eschatologischem Sinn verstehen, wenn man das Konzept der präsentischen Eschatologie zugrunde legt. Vermittelt wird das ewige Leben, das man bereits jetzt im Glauben und, wie nun ergänzt wird, im Herrenmahl gewinnt. Es kann sich aber auch um ein eschatologisches Futur im strengen Sinn handeln. Stammt der eucharistische Abschnitt von einer späteren Redaktion, wird man in diesem Fall am ehesten an den »letzten Tag« denken, der in V.54 ja auch ausdrücklich erwähnt ist.

Die Aussagereihe zu den Verheißungen, die sich mit dem Empfang von Fleisch und Blut des Menschensohnes verbinden, wird in V.55 unterbrochen durch eine Aussage über jenes Fleisch und Blut. Es wird als »wahre Speise« und »wahrer Trank« bestimmt. Worauf diese Ausdrücke zielen, ist nicht ganz einfach zu bestimmen.

Soll betont werden, dass die eucharistischen Gaben in dem konkreten Vorgang von Essen und Trinken empfangen werden? Ein solches Verständnis würde allerdings entweder das Adverb ἀληθῶς voraussetzen (»wahrhaft eine Speise«) oder das Adjektiv ἀληθινός (»eine wirkliche Speise«), nicht aber ἀληθής (eher: »wahr, zuverlässig«). Allerdings liegen die beiden Adjektive ἀληθής und ἀληθινός in ihrem Sinn nicht weit auseinander, auch im JohEv. Deshalb kann auch im Fall der Verwendung von ἀληθής auf die Realität des Essensvorgangs abgehoben sein. Fleisch und Blut des Menschensohnes werden also nicht in einem rein spirituellen Sinn verzehrt, sondern in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein. Sie sind wirkliche Speise, wirklicher Trank.

Der Bezug auf die Realität der Speise schließt andere Nuancen aber nicht aus. Das Attribut kann die Speise auch in dem Sinn als ἀληθής bestimmen, dass es sich um eine zuverlässige Speise handelt, die das bewirkt, was Nahrung bewirken soll: Sie erhält am Leben. Dies würde gerade den begründenden Anschluss an V.54 erklären, wo es ja um die Vermittlung des ewigen Lebens durch das Essen und Trinken von Fleisch und Blut Jesu ging. Insofern dieses so vermittelte Leben nicht einfach in der Erhaltung der irdischen Existenz besteht, sondern im ewigen Leben, ist jene Speise eine wahre, zuverlässige Speise.

VV.58f.  Am Schluss der Rede werden auffälligerweise die selbstbezüglichen Formulierungen durchbrochen, die in den VV.54–57 das Feld beherrscht haben (»mein Fleisch«, »wer mich isst«, »durch mich«). Unvermittelt setzt V.58 mit »dieser ist« ein. Das lässt sich auf der Linie der Menschensohn-Aussagen verstehen, die sich ja durch die Formulierung in der dritten Person auszeichnen (s.a. V.53). Dass sich hier der Erzähler zu Wort meldete, hat V.59 gegen sich: eindeutig ein Erzählerkommentar, der zudem den Eindruck macht, unmittelbar an das letzte Wort Jesu angehängt zu sein.

Inhaltlich kann man V.58 als Resümee der Brotrede verstehen. Nach dem eucharistischen Exkurs wird Jesus noch einmal als das aus dem Himmel herabgestiegene Brot präsentiert (s. zuvor 6,33.38.41.50.51). Dessen Leben schaffende Wirkung wird mit dem Essen der Väter kontrastiert, das deren Tod nicht verhindert hat (s. zuvor 6,49). Dagegen vermittelt das aus dem Himmel herabgestiegene Brot ewiges, unzerstörbares Leben (s. 6,51.58: ζήσει εἰς τὸν αἰώνα).

Dieser Kontrast wird zum Schluss in eine Formulierung gekleidet, die den eucharistischen Abschnitt mit der übrigen Brotrede verbindet. Am Ende von V.58 ist nicht mehr von Fleisch und Blut Jesu die Rede, sondern wieder vom Brot – allerdings mit einem Verb verbunden, das nur in der Passage zum Herrenmahl zu finden war: τρώγειν (in der Brotrede findet sich dieses Verb für »essen, kauen« nicht, sondern ἐσθίειν, das auch in V.58b verwendet ist).

In dieses Resümee ist das Stichwort vom Glauben aus der Brotrede nicht aufgenommen. Dies könnte die Einschätzung stützen, dass 6,51c–58 der Rede erst nachträglich zugewachsen ist: Das Resümee soll in erster Linie nicht die ganze Rede bündeln, sondern eine Verbindung zwischen Brot- und Eucharistierede schaffen. Dadurch werden auch Glaube und Sakrament miteinander verbunden. Dies ergibt sich in der überlieferten Gestalt des JohEv aber nicht durch eine unmittelbar terminologische Klammer, sondern durch die Komposition der Rede.

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